BGH – Klärung zum sogenannten Werkstattrisiko
1. September 2024Ferienzeit – Urlaubszeit. Doch was ist, wenn es zu einem unverschuldeten Unfall kommt und die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers dennoch die Reparaturkosten nicht vollständig zahlt? Wer trägt das Werkstattrisiko?
Wenn es zum Unfall kommt, profitiert der Geschädigte davon, dass der Unfallverursacher das sogenannte Werkstattrisiko trägt und danach umfangreich haftet. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 16.01.2024 in fünf Entscheidungen konkretisiert, wie weit die Haftung in bestimmten Konstellationen reicht. Dabei geht es um Fälle, in denen der Geschädigte eines Verkehrsunfalls sein Auto zur Reparatur bringt und sodann vom Unfallverursacher nach § 249 Abs. 2 BGB die Zahlung des dafür erforderlichen Geldbetrages verlangt (BGH, Urteile vom 16.01.2024, Az. VI ZR 38/22, VI ZR 239/22, VI ZR 253/22, VI ZR 266/22 und VI ZR 51/23). Es galt schon bisher, dass den Unfallverursacher in solchen Fällen grundsätzlich eine umfassende Haftung trifft. Er trägt nach dem Unfall das Werkstattrisiko, d. h., er haftet dem Unfallgeschädigten sogar dann, wenn eine Fachwerkstatt bei der Reparatur unsachgemäß oder unwirtschaftlich arbeitet und die Reparaturkosten insoweit nicht im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlich“ sind. Gleichwohl galten auch bisher schon Einschränkungen zugunsten des Unfallverursachers, beispielsweise wenn den Geschädigten ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden hinsichtlich der Fachwerkstatt vorliegt, die er ausgesucht hat.
Der BGH hat beispielsweise nun klargestellt, dass das Werkstattrisiko über die unsachgemäßen oder unwirtschaftlichen Ansätze hinaus auch dann greift, wenn tatsächlich nicht durchgeführte Reparaturmaßnahmen in Rechnung gestellt werden und dies für den Geschädigten nicht erkennbar ist. Außerdem stellte der BGH klar, dass sich aufgrund des Werkstattrisiko “mangels Entscheidungserheblichkeit eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Reparaturkosten“ verbiete. Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Werkstatt „keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt“.
Der BGH stellte weiter fest, dass nicht erforderlich ist, dass der Reparatur durch den Geschädigten bereits bezahlt wurde. In dieser Konstellation könne der Geschädigte vom Unfallverursacher allerdings nur Zahlung an die Werkstatt verlangen und nicht an sich selbst. Andernfalls, d. h. bei Zahlungsaufforderung an sich selbst, trage sodann der Geschädigte das Werkstattrisiko, so der BGH. Wichtig ist allerdings, dass die Möglichkeit des Geschädigten, sich auch im Falle der noch unbeglichenen Rechnung zu seinen Gunsten auf das Werkstattrisiko berufen zu können, außerdem nach Ansicht des BGH wegen § 399 BGB nicht abtretbar ist. Der Unfallverursacher hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass speziell der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Nur so sei ein Vorteilsausgleich möglich, soweit der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die im Wege des Vorteilsausgleichs abzutretenden (etwaigen) Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand, also beim Geschädigten, lägen, so der BGH.
Fazit: Damit der Geschädigte das Werkstattrisiko nicht trägt, sollte er die Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall nicht an die Reparaturwerkstatt abtreten, sondern den Schaden selber, bestenfalls unter Beauftragung eines Rechtsanwalts, regulieren. Die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts trägt im Übrigen die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers, sofern der Unfall nicht vom Geschädigten verursacht wurde. Für den Geschädigten fallen insofern keine Rechtsanwaltskosten an.
Rechtsanwältin
Jutta Westermann-Masbaum, Sögel