Irland – grün und blühend
6. Dezember 2022Irland wird die grüne Insel genannt. Das ist völlig berechtigt. Selbst in bebauten und felsigen Gebieten findet man genügend grüne Fleckchen. Auch jemanden, der die unterschiedlichen Grünabstufungen im Emsland kennt, verblüffen die angeblich bis zu vierzig Grüntöne Irlands. Die wellige Landschaft wird von Mäuerchen und Hecken parzelliert. Dörfer und Wiesen strotzen von Blütenbüschen. An vielen Häusern und Straßen vom Weiler bis zur Großstadt hängen Ampeln und stehen Kübel voller bunter Blumen. – Madeira wird die Blumeninsel genannt. Irland verdient den gleichen Namen.
Die Insel hat aber viel mehr zu bieten als Grün und Blumen. Teile der Küste sind lieblich und von Inseln durchsetzt. An der Südküste lohnt die Blumeninsel Garinish einen Besuch. Ein victorianischer Park lädt mit Blumenpracht, sogen. falschen australischen Palmen, Pavillons und Zierbecken zum Verweilen ein. In anderen Inselteilen spaziert man durch kontrolliert verwilderten Wald mit malerischen Ausblicken aufs Meer. Die Westküste Irlands fasziniert mit steilen Felsufern und tosender Brandung. Die Klippen von Moher fallen gut zweihundert Meter senkrecht ins Meer. Weiter im Norden findet man mehr Buchten, deren bergige Umfassungen viele hundert Meter aufragen. An der Nordküste im britischen Teil Irlands führt der Giant’s Causeway ins Meer. Es handelt sich um viele Tausend eckige Basaltsäulen. Sie zeugen von vulkanischen Kräften zu Urzeiten und durchsetzen die umliegenden Berge. Ein Teil verschwindet im Meer. Lt. Mythos wurde er von Riesen als Überweg nach Schottland gebaut und später wieder eingerissen. Eine weitere ungewöhnliche Landschaft stellt der Burren im Westen der Republik Irland dar. Auf einem viele Quadratkilometer großen Gebiet wurden während der letzten Eiszeit die Felsen glatt gehobelt und vermutlich ab der Bronzezeit durch menschliche Aktivitäten ihrer Oberflächenvegetation beraubt. In den Felsen bildete sich im Laufe der Zeit ein Krakelée von schmalen Spalten. In sie verwehte Erde bewässert vom Regen. Nun findet sich in diesen Spalten eine Pflanzenwelt, die jedem Botaniker einen Freudenrausch beschert. Wo findet man europäische, amerikanische, subarktische und mittelmeerische Pflanzen durchsetzt von Orchideen auf begrenztem Raum?
Neben Natur und Landschaft haben Städte und Dörfer einiges zu bieten. Überall finden sich verfallene Burgen. Etliche intakte stammen allerdings aus dem 19. Jahrhundert. Die Dörfer wirken gemütlich mit plüschig-victorianischen Kneipen und einigen herrschaftlichen Hotels, in denen die Zeit seit 150 Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Den nüchternen Deutschen verwundert der irische Mut zu Farbe und ungewöhnlichen Farbkombinationen. Ganze Häuser in Rot, Gelb, Grün, Lila, Schwarz und Zwischentönen lassen einige Häuserzeilen einem großen Malkasten gleichen. In Dublin durchbrechen gelbe und andersfarbige Türen die Eintönigkeit der Reihen hoher Häuser aus gregorianischer und victorianischer Zeit. Dublin selbst ist jedoch mehr als farbige Türen. Die Stadt lebt unglaublich. Die Bürgersteige quellen über vor Passanten. An vielen Stellen wird musiziert. Die Straßen des Zentrums säumen kleine Läden und Restaurants. Viele Parks lockern die Stadt auf. Ein Park grenzt an die gotische St. Patrick’s Kathedrale. Sie ist eigenartigerweise anglikanisch-protestantisch, obwohl in der Republik Irland der katholische Glaube vorherrscht und lange Staatsräson war. St. Patrick wird als Nationalheiliger verehrt. In dem Park neben der Kirche soll er im 5. Jahrhundert viele heidnische Iren/Kelten aus einer Quelle getauft haben, die zur rechten Zeit dort sprudelte. Neben der Kathedrale darf man das Trinity College nicht auslassen. Die Hauptgebäude dieser renommierten Universität bilden ein Ensemble aus schönsten historistisch-klassizistischen Bauten. – Die Stadt Cork hatte der Autor aus den 70’er Jahren als gemütliche Kleinstadt in Erinnerung. Mittlerweile hat Cork sich zur Industriestadt gemausert. Galway an der Westküste wurde 2020/21 europäische Kulturhauptstadt. Es verfügt über zwei Universitäten und ist Zentrum des gälisch-sprachigen Irlands, sogen. Gaeltacht. Derry bzw. Londonderry in Nordirland bildete in der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts ebenso wie Belfast, die Hauptstadt Nordirlands, einen der katholisch-protestantischen Unruhekerne. Inzwischen hat sich die Lage unter dem Einfluß der EU und der offenen Grenze zur Republik Irland beruhigt, unter der Oberfläche könnte es aber noch brodeln. Die umzäunten Katholikenviertel beider Städte erinnern immer noch an Ghettos. Derry hat eine intakte breite Stadtmauer ums Zentrum sowie vielen Kirchen, Museen, ein kirchenähnliches Gildehaus und große Wandgemälden gegen die britische Armee vorzuweisen. Belfast bietet viele Bauten aus dem 19. Jahrhundert, ein pompöses klassizistisches Rathaus, alte Gildehäuser, gekonnte Wandgemälde gegen britische Unterdrückung, ein hochmodernes Titanicmuseum – das Schiff wurde hier gebaut – und alte Kneipen. Eine stammt sogar aus dem 17. Jahrhundert mit abgeschlossenen Kabinen, damit man in Ruhe seinen Rausch ausschlafen oder anderen nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Tätigkeiten nachgehen kann. Einen der Höhepunkte von Belfast stellen nordirisches Parlament und Regierungssitz dar. Sie residieren im riesige Schloß des Grafen Stormont auf einem grünen Hügel am Rande der Stadt.
Das kulturelle Erbe Irlands reicht weiter zurück als die britische Herrschaft. Der Rock (Fels) of Cashel verbindet keltische Ursprünge mit dem christlichen Irland. Hier residierten keltische Fürsten. Der Fels galt als Heiligtum. Als solches wurde er später ins Christentum übertragen und mit einer überwiegend gotischen Kathedrale gekrönt. Von Irland und Schottland aus wurden Teile Mitteleuropas christianisiert. Auf der Insel findet man überall Ruinen von Klöstern aus dem 6. bis ca. 10. Jahrhundert. Charakteristisch sind die hohen, schlanken Rundtürme dort. Sie bildeten Zuflucht für Mönche und Bevölkerung bei Angriffen feindlicher Clans oder von Wikingern. Das bekannte Kloster von Glendalough soll im 6. Jahrhundert vom Heiligen Kevin gegründet worden sein. Typisch für Klöster und Friedhöfe sind neben Rundtürmen die alten steinernen Hochkreuze. Auf ihnen wird fast wie ein comic strip biblische Geschichte mit Steinreliefs dargestellt zusammen mit rätselhaften, rund verschlungenen Ornamenten. Das Kulturerbe geht zeitlich tiefer. Die Insel wird übersäht von jungsteinzeitlichen Gräbern und Monumenten. Die bedeutendsten sind die runden, aufgeschütteten Hügel- und Ganggräber oder Kultstätten im Tal des Flusses Boyne. Das von Newgrange mißt im Durchmesser ca. 90 m. An knapp zwei Wochen zur Wintersonnenwende scheint die aufgehende Sonne einige Minuten ans Ende des Hauptganges. Die Anlagen wurden vor über 5000 Jahren errichtet, sind also ältere Zeugnisse einer Megalith(Großstein)kultur als die ägyptischen Pyramiden.
Text/Bilder: Uwe Müller