Ägypten – Traumland für Archäologen und Diebe

6. Dezember 2022

Dieser eigenwillige Untertitel bedarf einer Erklärung. Die ägyptische Hochkultur währte ca. 3000 Jahre. Rechnet man die Zeit bis zur Schließung des letzten ägyptischen Tempels, dem von Philae um das Jahr 550 n. Chr. hinzu, kommt man sogar auf etwa 3500 Jahre. Die Strahl- und Überzeugungskraft der altägyptischen Kultur war vermutlich größer als die der französischen ab Ludwig XIV und der us-amerikanischen seit dem 2. Weltkrieg. Das antike Ägypten wurde u. a. von Persern, Nubiern, Griechen und Römern erobert. Alle paßten sich der ägyptischen Kultur an oder „hofierten“ sie zumindest. Erst die Siegeszüge des Christentums und später des Islams beendeten die ägyptische Kultur. Sie wurde jedoch nie ganz ausgelöscht, sondern behielt ihre Wirkkraft. Das erkennt man u. a. daran, mit wie viel Begeisterung und Stolz heute noch Ägypter ihre alte Kultur erforschen und in welch hohem Maße die Bevölkerung Pyramiden sowie Tempel besichtigt. Evtl. blieb die alte Kultur auch in so etwas wie im kollektiven Unterbewußten präsent. Es wird berichtet, daß bei der Überführung der Mumie von Ramses II, dem Großen, auf dem Nil von Luxor nach Kairo über 3000 Jahre nach seinem Tod die Flußufer von Menschen gesäumt waren. Selbst wenn sich darin nur Neugier und nicht Respekt oder ein letztes Geleit ausdrückten, so zeugte es doch von einem Bewußtsein der historischen Figur.

Zum zweiten Teil des Untertitels: Da man im alten Ägypten glaubte, nach bestimmten Vorkehrungen, insbes. der Mumifizierung, existiere ein Leben nach dem Tod, erhielten die Verstorbenen viele Gegenstände in ihre Gräber für ein angenehmes Weiterleben. Je reicher der Verstorbene und je höher sein Rang waren, desto wertvoller fielen diese Beigaben aus. Das lockte natürlich Diebe in gewaltiger Zahl. Hinzu traten Staaten, die sich teils legal, teils illegal bedienten. Ab dem 18. Jahrhundert konnte man bei vielen Europäern nicht unterscheiden, ob sie Ägypten erforschten oder bestahlen. Aber auch im alten Ägypten wurden vermutlich Gräber im Regierungsauftrag geplündert, um die Staatskassen zu füllen. Man kann davon ausgehen, daß seit ca. 5000 Jahren in Ägypten Gräber und Tempel bestohlen werden.

Um so erstaunlicher ist, wie viel Antikes im Land noch zu sehen ist. Das Erstaunen vergrößert sich, wenn Ägyptologen darauf verweisen, daß etwa 70% der Altertümer noch unter der Erde schlummern. Der Unterzeichner konnte sich von der Plausibilität dieser Vermutung überzeugen. Bei einem Besuch im Land vor wenigen Wochen entdeckte er ausgegrabene Ruinen, wo er vor 40 Jahren nur Sand sah.

Das alte Ägypten verfügte über drei bis fünf Millionen Einwohner. Es führte viele Kriege und hatte dennoch genug Ressourcen, um eine eindrucksvolle materielle Kultur in Form von Tempeln, Palästen, Gräbern, Städten, Pyramiden und Kunstwerken zu schaffen. Die wesentlichen Grundlagen hierfür bestanden in einer großen Götterwelt, die verehrt werden mußte, im Glauben an das Leben nach dem Tod und in einem vergöttlichten Herrscher – ab dem Neuen Reich nannte er sich Pharao -, der nach seinem Tod für das Weiterleben des Volkes sorgte.

Besucht man die Museen in Alexandria, Kairo und Luxor, dann verfällt man in einen Rausch der Bewunderung für die Kunstwerke und staunt zugleich ungläubig darüber, wie die alten Ägypter mit ihren vergleichsweise einfachen Mitteln kunstvolle Statuen, Reliefs, Truhen, Throne, Mosaike und Särge geschaffen haben. Unter der Erde Alexandrias erstrecken sich weite Tunnel mit Beisetzungskammern für Mumien von Menschen und heiligen Tieren. Solche unterirdische Ruhestätten für Tote findet man an vielen Orten. Die um 2600 v. Chr. errichteten großen Pyramiden sind monumentale Ruhestätten für Könige. Man ist noch immer nicht ganz sicher, wie sie erbaut wurden. Ihre Grabkammern verfügen über raffinierte Fallen für Grabräuber. (Sie haben dennoch nichts genutzt.) Die drei bekanntesten Pyramiden von Gizeh bei Kairo Cheops, Chefren und Mykerenos haben ca. 120 große und kleine Geschwister. Bekannt ist die dortige Sphinx, ein Mischwesen aus Löwenleib und Menschenkopf. Ihr Alter liegt bei mindestens 4500 Jahren. Allerdings wimmelt das ganze Land von Sphingen, oft mit Widderkopf. Bei Memphis kann eine Alabastersphinx und eine riesige Statue von Ramses II besichtigt werden. Ihm begegnet man überall im Land. Von Minya in Mittelägypten ist es nicht weit zu den Resten eines Palastes von Echnaton, Vater von Tut Anch Amun (ursprünglich Tut Anch Aton). Echnaton hatte Luxor mit seinen alten Göttern und mächtigen Priestern verlassen und bei Minya eine neue Hauptstadt gebaut. Dort verehrte er nur die Sonne, war also ein früher Monotheist, jemand der nur einen Gott verehrte. Nach seinem Tode wurde alles eingeebnet und die Erinnerung an ihn ausgelöscht. In Luxor kehrte man zur Verehrung der alten Götter zurück.

Diese Wiederbelebung von Luxor, dem alten Theben, schuf die Grundlage für den Bau weiterer riesiger Tempel bzw. von deren Erweiterung. Nördlich von Luxor erstrecken sich die gewaltigen Tempel von Abydos und Dendera, südlich Esna, Edfu und Kom Ombo. Der monumentalste Tempel befindet sich im Zentrum Luxors. Wer den Film „Tod auf dem Nil“ mit Peter Ustinov gesehen hat, erinnert sich bestimmt noch an die Szenen zwischen den riesigen Säulen des Tempels von Karnak. Er ist eines der größten religiösen Bauwerke der Erde. Von ihm führt eine 2,5 km lange Allee mit Sphingen beiderseits zum wuchtigen Tempel von Luxor. Auf der anderen, der westlichen Nilseite zieht sich das Tal der Könige weit in die Wüste. Es birgt viele Königsgräber. Sie wurden mit weiten Verästelungen tief in den Fels getrieben. Bis auf das Grab von Tut Anch Amun fielen alle Plünderern zum Opfer. Dennoch sind sie mit ihren Ausmalungen prächtig geblieben. In einem Nachbartal lehnt der Grabtempel der Königin Hatschepsut an der Felswand des Talendes. Dieser Tempel wurde anders gestaltet als die meisten übrigen. Mit seinen geraden Linien erinnert er ans Bauhaus, aber auch an Kasernenarchitektur. Nicht weit entfernt erheben sich die zwei fünfstöckigen Memnonskolosse. Hinter ihnen hat man inzwischen weitere ausgegraben.

Dies alles stellt nur eine Auswahl der Tempel in Luxor und dem Rest des Landes dar. Weiter südlich warten mehr Sehensürdigkeiten. Bei Assuan liegt ein halb frei geschälter Obelisk (schmale viereckige oben spitze Säule) in einem Steinbruch. Man fragt sich, wie diese bis zu 380 t schweren Kolosse transportiert und aufgerichtet wurden. Der Nasserstausee hinter dem Assuandamm erstreckt sich weit in den Sudan. Bevor er alles überflutete, wurden einige Tempel gerettet, indem man sie zersägte und höher oben wieder aufbaute. Zu ihnen gehört der Tempel von Philae. Antikes Wahrzeichen Oberägyptens bildet Abu Simbel, ca 270 km südlich von Assuan in der Wüste oberhalb des Nassersees. Zwei Tempel ließ Ramses II in den Fels schlagen. Sie wurden mit der Bergkuppe viele Meter angehoben, um sie vor den steigenden Fluten zu retten. Der linke Tempel war dem Gott Osiris geweiht, diente aber dem Personenkult von Ramses II. Vier 20 m große Statuen von im flankieren den Eingang. Der zweite kleinere Tempel wurde der Göttin Hathor gewidmet zur Verehrung von Ramses II Lieblingsfrau Neferteri.

Text/Bilder: Uwe Müller

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