Gedanken zur Zeit

2. Februar 2022

Im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein wurden sogen. Apostatiker, also Mensch, die vom wahren Glauben abgefallen waren, verbrannt. Das Gleiche geschah mit Häretikern, Menschen die das Falsche glaubten. Was der wahre und falche Glaube war, bestimmten die Kirche und ihr Heiliges Offizium (Glaubenskongregation) im Verbund mit Mächtigen.

Ich frage mich, ob sich ein solches Heiliges Offizium für die politische Reinheit der Sprache bei uns und anderswo auch schon gebildet hat. Dabei hat sich dieses linguistische Offizium noch nicht so verfestigt und institutionalisiert, daß es konkret und dauerhaft greifbar wäre. Es ist zweifellos eine Macht, agiert jedoch aus einem Dunst, der außer Duden und einigen Zeitungen viele seiner Träger nicht klar erkennen läßt. Ich sehe da Parallelen zur Welt von Franz Kafka. In ihr ist man unsichtbaren Mächten ausgeliefert.

Gegen solche diffusen Einflußnehmer (Neudeutsch: Influencer) kann es helfen, mit Gesetzmäßigkeiten und Tatsachen aufzuwarten. (Hat aber Giordano Bruno oder Galilei auch nicht geholfen.) Durch Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache soll diese Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft hergestellt werden. Damit bin ich vollkommen einverstanden. Es wird aber leider permanent gegen Regeln und Schönheit der Sprache verstoßen.

Wenn ein Tätigkeitswort in ein Hauptwort umgewandelt wird, so ersetzt man die Endung der Verlaufsform durch -er, z. B machen wird Macher oder gehen wird Geher. Dieses Hauptwort endet zwar mit der maskulinen Endung -er, besagt jedoch nichts über das biologische Geschlecht. Welcher vernünftige Mensch käme auf die Idee, zu behaupten, die Mehrzahl des bestimmten Artikels aller drei grammatischen Geschlechter (der, die, das) drücke ausschließlich das biologisch weibliche Geschlecht aus, weil der Mehrzahlartikel für alle drei grammatischen Geschlechter „die“ lautet? Ist mit Geher oder Macher nur eine Frau gemeint, dann wird dem Hauptwort -in zugefügt, Macherin und Geherin. Das gilt dann wiederum ausschließlich für Frauen. Was geschieht bei sprachlichen Gleichmachern eigentlich mit Hauptwörtern, die grammatisch weiblich sind, wie etwa die Sache oder die Reinigung? Gelten sie nur für Frauen oder auch für Männer? Übrigens: Wer aus Gründen sprachlicher Gleichberechtigung man/frau verwendet, weiß offenkundig nicht, daß das Wort „man“ geschlechtslos ist.

Um Gleichberechtigung zu demonstrieren, wird oft eine häßliche Schluckaufsprache benutzt, z. B. Redakteur hicks -in. Man kann auch sagen, wie viele es noch tun, Redakteurin und Redakteur. Früher schrieb man bei einer brieflichen Anrede, wenn man nicht wußte, welches Geschlecht den Brief las, „Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren“. Das mag etwas umständlich sein, ist aber höflich und elegant.

Sollten diese Zeilen Vertretern der sprachlichen Glaubenskongregation bekannt werden, wird mir hoffentlich nicht als sprachlichem Häretiker eine thermische Behandlung oder zumindest ein sogen. shitstorm zuteil wegen linguistischer Blasphemie. (Der shitstorm würde mich allerdings kaum berühren, da ich in den sozialen Hetzwerken nicht vertreten bin.) Als mildernden Umstand könnte ich vorbringen, daß mir erst mit der forcierten Feminismusdebatte das mir bis dahin Unvorstellbare als Denkmöglichkeit ins Bewußtsein gerückt wurde, es könnte einen qualitativen Unterschied zwischen Frauen und Männern geben. Das war für mich schon deshalb undenkbar, und ist es heute noch, weil ich seit meiner Geburt für längere Zeit eine Chefin hatte. Eine bessere hätte ich mir nicht wünschen können.

Text: UM


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