Gedanken zur Zeit
1. Dezember 2021Eine bekannte Keksfabrik hat einen Keks, der seit Jahren Afrika hieß, kürzlich umbenannt, um niemanden zu verletzen. Wer wird denn da verletzt außer Menschen, die politisch überkorrekt sind? Ein Reporter wurde angegriffen, weil er im Zusammenhang mit Italien salopp von Pizza sprach. Ich verbinde mit Afrika und Italien sowie Pizza Positives und frage mich, was an Bösem kann man bei der Bezeichnung Afrika für Kekse oder bei der Assoziierung von Italien mit Pizza denken. Es sei denn, man denkt immer an Böses. Ich kann noch verstehen, dass der Mohrenkopf aus Sprache und Bäckereien verschwinden soll, obwohl ich an ihn aus meiner Kindheit in der kargen Nachkriegszeit Sehnsüchte und angenehme Erinnerungen verbinde. Müssen demnächst Friesentee oder Berliner Ballen umbenannt werden, weil unsere emsigen (Darf man dieses Wort im Emsland verwenden?) politisch überkorrekten Sprachreiniger dabei Böses entdecken? Der Dichter Kleist meinte, mit dem Rad des Sprechens sei das Rad des Denkens verbunden. Wenn das eine stocke, werde es vom anderen angetrieben. Dies vorausgesetzt, wollen die Sprachreiniger auch die Gedanken reinigen. Baut sich da ein linguistisches Purgatorium, ein sprachliches Fegefeuer auf?
Mir reicht es, wenn achtsam mit Sprache umgegangen wird. Auch mir erscheinen einige Begriffe so, als entstammten sie dem Wörterbuch des Unmenschen, z. B. die Herdenimmunität oder das von einigen Medizinern verwendete Wort „Patientengut“. (Hört sich ähnlich an wie Schüttgut.) An beiden hat bisher meines Wissens noch niemand öffentlich Anstoß genommen. Es gibt sicherlich eine Vielzahl von Erklärungen für die Sprachreinigung und -reiniger. Von diesen Erklärungen sind einige für mich gut oder zumindest akzeptabel. Ich möchte jedoch ganz gerne wissen, was bei einigen Sprachreinigern persönlich dahinter steckt. Vielleicht eigene Erfahrung von Diskriminierung. Dann ist ihr Eifer zu verstehen. Bedenkenswert sind aber auch Ansätze aus Völkerkunde und Psychoanalyse. Die Völkerkunde zeigt, dass ein Tabu oft umso stärker ist, je stärker das Bedürfnis ist, das mit dem Tabu unterdrückt wird. Die Psychoanalyse kennt den Begriff der Projektion, will u. a. sagen, dass man eigene unterdrückte Bedürfnisse auf andere überträgt.
Zum englischen Hosenbandorden, einer der höchsten Ritterwürden Englands, heißt es: Honi soit qui mal y pense. (Ein Schuft, der Böses dabei denkt.) Beim Hosenbandorden, der an etwas pikanter Stelle befestigt wird, kann man die Warnung verstehen. Wer denkt aber bei z. B. Afrikakeksen an Böses? Der, der sie kauft, oder der, der den Namen streicht oder dies verlangt? Wo bleiben die Sprachreiniger, wenn es um die permanente Fäkal- und Genitalsprache im Fernsehen geht oder um für Menschen unwürdige Begriffe?
Text: UM