Gedanken zur Zeit
18. Juni 2021Viele finden es befremdlich, wenn in die deutsche Sprache immer mehr englische Begriffe eindringen, die ebenso gut auf Deutsch verwendet werden können. Ich will gar nicht verlangen, dass jeder die Sprache Schillers, bei der z. B. mit dem Pferd das Versmaß stolpert, als ausdrucksstark ansieht, dass jeder Kleists Lautmalerei und Sprache wuchtig oder die Lyrik von Matthias Claudius anrührend empfindet. Ich will mich auch nicht in die lächerliche Sprachakrobatik während des Dritten Reichs verirren, als man selbst uralte Lehnwörter eindeutschte (germanisierte). Aber warum muss man „click and collect“ sagen? „Anmelden und abholen“ tun es ebenso. Statt „lockdown“ „herunterfahren“, statt „shoppen“ „einkaufen“, statt „family“ „Familie“, die Zahl wichtigtuerischer überflüssiger englischer Begriffe ließe sich mühelos erweitern. Allerdings ist die deutsche Sprache reicher an Worten als die englische; man muss sie nur kennen.
Wohlgemerkt, ich bin kein sprachlicher Reinheitsfanatiker, der meint, es dürfe keine Fremdwörter im Deutschen geben; aber bitte mit Augenmaß verwenden, nicht mit der Brechstange. Das gleiche Augenmaß fehlt mir bei der Einführung einer Sprache, die das Weibliche stärker widergibt. Richtig ist sicherlich, dass aus dem weiblichen Gegenstück zum Amtmann nicht wie früher eine ziemlich dämlich klingende Amtmännin, sondern eine Amtfrau wurde. Schräg und genau so lachhaft wie die Amtmännin sind aber Gästin und Vorständin. Warum nicht Damen und Herren Gäste und Vorstände? Absolutes sprachliches Unvermögen zeigen diejenigen, die dem Wörtchen „man“ das Wörtchen „frau“ hinzufügen, um ihrer Geschlechtergerechtigkeit zu frönen. (Entschuldigung, „frönen“ kommt von Herr.) Das Wort „man“ ist geschlechtslos!
Was mich noch mehr wundert als die Verballhornung der deutschen Sprache liegt darin, dass die Sprachpolizei, deren Träger sich vermutlich als dem gemeinen Deutschsprachigen moralisch überlegen empfinden, kaum vernehmbar ist mit Kritik an der Verrohung der Sprache. Wir hatten als Kinder auch eine sehr rohe Sprache und verwendeten oft schmutzige Worte. Aber wir lernten von klein auf, dass es eine Sprache der Straße und eine im Elternhaus, gegenüber Lehrern und anderen Erwachsenen gibt. Selbst in Anwesenheit von Mädchen benutzten wir keine allzu derben Worte. Im Sprachgebrauch der Erwachsenen, insbesondere der Eltern, gab es in Gegenwart von Kindern keine anrüchigen Begriffe. Wenn wir sie als Kinder zu Hause aussprachen, zog dies Ermahnungen, Missbilligungen, im Wiederholungsfall Sanktionen nach sich.
Das Wort „geil“ wurde früher in der Öffentlichkeit bestenfalls hinter vorgehaltener Hand gesagt. Heute gehört es zum allgemeinen Sprachgebrauch, hat damit allerdings auch seine pikante Bedeutung fast verloren, die es im Übrigen vor einigen Hunderten an Jahren auch nicht hatte. Ich vermute jedoch nicht, dass die derben Worte aus der Fäkal- und Genitalsprache, die heute ständig im Fernsehen gebraucht werden, obwohl es für dieselben Sachverhalte mildere Begriffe gibt, ihre schmutzige Bedeutung so schnell verlieren. Dieser Sprachgebrauch der Gosse deutet auf eine allgemeine Verwilderung, Verrohung und Schamlosigkeit hin. Und Verlust der Scham bedeutet in der Psychoanalyse ein Anzeichen für Schwachsinn. Warum bildet die herunter gekommene Sprache nicht das Erregungspotential für Menschen/innen, die das gute und richtige Ziel verfolgen, Benachteiligungen von Frauen zu beheben? Diese Gossensprache ist oft sexistisch in übelster Form!
Text: UM