Die alte Seidenstraße in China – Teil 2
18. Mai 2021Wenige Kilometer entfernt befindet sich ein weiterer Höhepunkt der Seidenstraßenkultur, und zwar erneute 1000-Buddha-Höhlen: die Mogao-Grotten. Hier reihen sich viele bemalte alte Höhlen aneinander. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte ein buddhistischer Mönch dort eine Vision, grub eine erste Grotte in den weichen Stein und malte sie aus. Ihm folgten 1000 Jahre lang andere Gläubige.
Über den Jiayu-Pass erreicht man durch eine bizarre Gebirgslandschaft das Ende der Großen Mauer aus der Mingzeit (1368 bis 1644 n. Chr.). Die Mauer mündet in ein gewaltiges Fort. Der Architekt hat den Steineverbrauch der Gebäude angeblich so gut berechnet, dass von Millionen Steinen nur einer übrig blieb. Zum Beweis liegt er auf einem Mauervorsprung.
Etwa 200 km entfernt trifft man auf ein Naturschauspiel von betörender Schönheit. Bei Thangiye darf man den Danxia-Geo-Park nicht versäumen. Wüstenhafte Berge, möglicherweise versteinerte Dünen, entwickeln ein Farbspektakel, das bei jeder Veränderung der Sonneneinstrahlung changiert. Verlässt man das Gebiet, ist man trunken von dem Farbenrausch der Natur.
In Zangye gibt es neben dem Naturwunder des Danxia-Geo-Parks mehr zu besichtigen. Der Tempel des großen Buddhas enthält hervorragende Wandmalereien der Ming-Zeit. Vor ihm erstreckt sich ein großes beheiztes und dampfendes Wasserbassin mit Kranichskulpturen. Drumherum praktizieren wie im Nebel Chinesen ihre Morgengymnastik. Ein Stück weiter kündigt sich mit den Matisi-Grotten das tibetische Hochland an. Nähert man sich, entdeckt man in kleinen Felshöhlen buddhistische Figuren. Die eigentlichen Grotten bestehen aus in Höhlen gebauten und aus diesen herausragenden Pavillons. Sie ähneln lamaistischem (tibetischem) Stil.
Über das Qilian-Gebirge geht es nach Xining. Dort in der Nähe stellt das Gelbmützen-Großkloster Kumbum einen Höhepunkt dar. Im 14. Jahrhundert kam hier der tibetische Mönch Tsongkhapa zur Welt. Er ist der Begründer des strengen Gelbmützenordens. (Die tibetischen Orden werden äußerlich nach der Farbe ihrer Kopfbedeckungen unterschieden.) Baustil und Innendekorationen der Klostergebäude sind tibetisch. Kumbum gehört zu den wichtigsten lamaistisch-tibetischen Klöstern. Im nächsten Ort Tongren erhebt sich ein weiteres Großkloster mit dem unaussprechlichen Namen Wutunshangxiasi. Auch dieses Kloster W. bildet einen Kristallisationspunkt des tibetischen Buddhismus. In der Stadt sollte man auch die 700 Jahre alte Burg Guomari besichtigen.
Eine lange Fahrt durch tiefe Lößschluchten führt zum Gelben Fluss, dann durch das Grasland eines Nomadengebietes mit Yaks, Schafen, Pferden und Owos (Weihe- und Opferstätten mit angeblich hoher Erdenergie) hinauf zum Hochplateau Tibets in 3000 bis 4000 m Höhe. Dort liegt mit Labrang ein weiteres Großkloster. Vor seinen Mauern werden Pilger gespeist. Andere werfen sich der Länge nach auf Gebetsbretter, um Segenswünsche zu murmeln, ganze Batterien von Gebetsmühlen werden inbrünstig gedreht. In den Klosterhöfen laufen die Mönche hin und her, um rechtzeitig zu Andachten zu kommen. Trotz 70 Jahren kommunistischer Indoktrination lebt der tibetische Glaube. In einem Kloster, das hier nicht genannt werden soll, stellt man sogar ein Bild des Dalai-Lamas aus, ein „Verbrechen“, das viele Jahre Umerziehungslager kosten kann. Ein neues Museum gibt ausführlich die tibetische Kultur wider. Dabei dominiert religiöse Kunst. Für uns besonders fremdartig sind die vielen Geister und Dämonenfratzen. Sie wurden aus dem alten Bönglauben in den Lamaismus übernommen. (Wer groteske und teils bösartige Figuren an religiösen Bauwerken sehen will, braucht an gotischen Kirchen nur außen in die Höhe zu blicken.)
Der kommende Halt findet in Linxia statt. Der Ort ist Ausgangspunkt für eine Bootsfahrt auf dem Liujiaxia-Stausee zu den ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. erschaffenen Grottentempeln von Bingling Si am Gelben Fluss. In den See mündet eine Schlucht. Bingling Si enthält für die Tibeter 10 000 Buddhas. Das ist zwar übertrieben, aber auf dem Weg vorbei an ca 190 Höhlen erblickt man ungefähr 700 Steinstatuen und etwa 80 Lehmfiguren, neben Buddhas Mönche und andere wichtige Menschen der buddhistischen Tradition. Besonders imposant ist eine mehrere Meter hohe aus dem Fels gemeißelte sitzende Buddhafigur. –
Mit einem Schnellzug ist die Millionenstadt Xian binnen weniger Stunden erreicht. Xian kann man als Apotheose, also nicht nur End-, sondern auch Höhepunkt der Seidenstraße bezeichnen. Es besitzt unglaublich viele Sehenswürdigkeiten: um die Innenstadt dicke Mauern mit mächtigen Toren und Torhäusern, Große Moschee, Große und Kleine Wildgans-Pagode, zwei herrliche Museen mit Exponaten aus über 2000-jähriger Geschichte und die Garten- sowie Palastanlage Huaqing. Sie wurde erstmals in der Tangdynastie (618 – 907 n. Chr.) eingerichtet als kaiserlicher Bade- und Kurort. Das heutige Areal ist bedeckt von Gärten, malerischen Wasserbecken, Pavillons, Schwimmhallen und eingefassten Quellen. Am Tage oder abends bummelt man in Xian über eine lebendige Einkaufs- und Restaurantstraße. Im Dunkeln besucht man eine Vergnügungsmeile, die mit vielen kitschigen Figuren und grellen Lichtspielen im Stile von Walt Disney an die Tangzeit erinnert. Stadtmauern und Häuser von Xiang sind nachts illuminiert, als wollten sie Las Vegas in den Schatten stellen. – Als Weltwunder lässt sich die Tönerne Armee bezeichnen. Tausende lebensgroße individuell gestaltete Soldaten, Pferde und Streitwagen sollten den Kaiser Qin, Namensgeber Chinas, im Tode beschützen. Einige Forscher vermuten, die naturalistische Darstellung der Figuren verweise auf westlichen, evtl. griechischen Einfluss. Begonnen wurde mit der Anlage 246 v. Chr. Nach der Beisetzung von Qin im Jahr 210 v. Chr. wurde das Gebiet mit einem großen Hügel verschlossen. Die Armee wurde im letzten Jahrhundert durch Zufall entdeckt. Es ist bei weitem nicht alles ausgegraben. Man vermutet dort sogar einen Quecksilbersee.
Der Unterzeichner hat zwar das Ende der Seidenstraße erreicht. Wenn man aber nur noch knapp 2 Flugstunden von Peking entfernt ist, kann man nicht nach Hause zurückkehren, ohne die Hauptstadt zu besuchen.
Dort wartet ein angefülltes Programm: Tiananmenplatz (Platz des Himmlischen Friedens), Verbotene Stadt (Kaiserpalast), Sommerpalast mit Marmorschiff, Himmelstempel, wo der Kaiser um gute Ernten betete, ein weiteres Weltwunder, die Große Mauer, Minggräber und Prozessionsweg, über den die verstorbenen Kaiser vorbei an Steinfiguren von Tieren und hohen Würdenträgern vor der Beisetzung getragen wurden. Abends „genießt“ der Unterzeichner eine Pekingoper. Sie ist eine Mischung aus pathetischem Deklamieren, (Sprech)Gesang in höchstem Diskant, Tanz, Pantomime und Akrobatik in beeindruckenden Kostümen. Als der Unterzeichner vor vielen Jahren eine Pekingoper verfolgte, entwickelte sich bei ihm starkes Heimweh. Da jetzt die Handlung auf Englisch erklärt wird, kommt der Langnase nicht alles zu fremdartig vor. Den Abschluss der gesamten Reise bildet selbstverständlich ein Pekingentenessen.
Text/Bild: UM