Die alte Seidenstraße in China – Teil 1

1. März 2021

Die Seidenstraße war ein weit verzweigter Handelsweg, der schon in der Antike China mit dem Mittelmeer verband. Ursprünglich hatte diese Karawanen- und Schiffsroute verschiedene Namen, bis 1877 der Ostasienforscher Ferdinand von Richthofen, Onkel des Weltkrieg I Fliegers Manfred von R., die Bezeichnung Seidenstraße prägte. – In einem früheren Artikel wurde über die Länder Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan berichtet. Sie bildeten seit alters her das Territorium, durch das die Seidenstraße in Zentralasien führte. Jetzt soll einiges von der Seidenstraße in ihrem Ursprungsland China vorgestellt werden.

Sie erstreckt sich in China über eine Strecke von 5000 bis 6000 Kilometern von der Provinz Xinjiang oder Sinkiang im Westen des Riesenlandes bis zur Stadt Xian in der östlichen Mitte. Xinjiang bildet die Heimat des Turkvolkes der Uiguren. Es wird langsam überlagert von den kulturell andersartigen Hanchinesen. Noch ist das 1,6 Millionen qkm messende Xinjiang islamisch geprägt. Neben fruchtbarem Land formen Gebirge, Steppen und große Wüsten das Gebiet. Seine Hauptstadt ist Urumqi. Von hier aus ist der Autor noch vor der Coronapandemie der antiken Seidenstraße zunächst nach Westen und dann Richtung Osten mit Bussen, Eisenbahnen und Flugzeug gefolgt.

Urumqi am Rande des Tianshangebirges spielte für den Handel der Seidenstraße keine bedeutende Rolle. Die Stadt rühmt sich, die am weitesten von einem Meer entfernte zu sein (2250 km). Früher galt der Ort als ein von Ganoven und Kriegsherren beherrschtes Nest. Heute ist es eine friedliche Großstadt, in der die Bürger morgens und abends auf Plätzen und Straßen in Formationen tanzen und Gymnastik oder Schattenboxen vollführen. Eine wichtige Attraktion stellt das Provinzmuseum dar mit Beispielen der uigurischen Kultur und vor allem mit anthropologisch bedeutenden 3000 Jahre alten Mumien, vermutlich indoeuropäischen Ursprungs.

Der Weg nach Westen führt entlang des Nordrandes der Wüste Taklamakan. Die frühere Übersetzung des Namens mit „Land ohne Wiederkehr“ ist vermutlich falsch, dennoch bildete die ca. 230 000 qkm große Wüste eine tödliche Gefahr für den Reisenden. Bei dem Ort Kuqa lohnt es sich, die aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. stammenden Ruinen der buddhistischen Klosterstadt Subashi zu besuchen. Sie wurde vor ca. 800 Jahren zerstört und verlassen. Der Wüstensand hat an den Lehmruinen genagt. Dennoch lässt sich erahnen, welche große Bedeutung die Klöster hatten. Auf dem Weg nach Kashgar bietet sich ein Abstecher zu den alten Kizil-1000-Buddha-Höhlen an, die in eine hohe Felswand geschlagen wurden. Sie sind teils nur auf über dem Abgrund schwebenden Holztreppen zu erreichen.

Der westlichste Ort der Reise, Kashgar, ist mit seinem orientalischen Flair besonders faszinierend. Er bildete einen Mythos an der Seidenstraße. Hier trafen die nördlichen und südlichen Routen der Handelsstraße aufeinander und spalteten sich wieder auf nach Westen und Süden. Der Hauptplatz wird zwar von einer riesigen Maostatue dominiert, die restaurierte Altstadt mit Garküchen, verwinkelten Gassen und vor allem ihren Menschen in orientalischen Trachten weisen die Stadt mehr dem muslimischen Orient zu als dem restlichen China. Das Grabmal des Abakh Hodscha, ein bunter überdachter Basar und die größte Moschee Chinas, Id-Kah, unterstreichen den türk-islamischen Charakter. In einem großen Nachtmarkt voller Restaurants treffen orientalische und chinesische Liebe für gutes Essen aufeinander. Unvergesslich bleibt jedem Besucher der gewaltige sonntägliche Viehmarkt am Rande der Stadt. Er ist allerdings nichts für schwache Nerven, für Vegetarier und für Tierschützer. Schafe werden roh von Ladeflächen gezerrt und geschlachtet. Überall hängen gehäutete Kadaver oder liegen abgeschnittene Köpfe unter Schlachtertischen. Was aus den dazu gehörenden Schafen wurde, sieht man auf rauchenden Öfen. Die Mengen an Kebabs könnten wohl die gesamte Einwohnerschaft Kashgars ernähren. Schafe werden auf dem Boden geschoren. Zum Verkauf angebotene Schafe und Rinder stehen kaum bewegungsfähig angebunden in langen Reihen. Man kann sich an diesem Treiben nicht satt sehen und westlich-gesittet gruseln. Äußerte man tierschützerische Bedenken, würden die Einheimischen wohl nur den Kopf schütteln über so viel fremdartige Ignoranz.

Der Weg führt weiter Richtung Osten entlang des Südrandes der Taklamakan, begleitet von einem der dort berüchtigten schwarzen Staubstürme. China hat von Nord nach Süd durch die Wüste eine asphaltierte Straße gebaut. Sie wird gegen Verwehungen beiderseits von wüstenharten Bäumen geschützt, die durch Tröpfcheninfusionen bewässert werden, bis ihre Wurzeln das Grundwasser erreichen. Zur Wartung der Schläuche und Pumpen sind auf der Strecke von knapp 800 km Häuser mit Wächtern postiert. So sind der Durchquerung des Sandmeers die früheren Mühsale und Gefahren genommen. Gleichwohl empfindet man die Einöde während einer 14-stündigen Fahrt. Sie endet im Tarimbecken. – Damit nicht in Vergessenheit gerät, wo man unterwegs ist, wird anderntags eine Seidenspinner- und -weberei besucht.

Von dort aus geht die Reise in die Tiefe des Turfanbeckens. Es heißt zu recht Glutofen Chinas. Denn sein tiefster Punkt befindet sich 154 m unter Meeresniveau. Zum Ende Mai werden in der Stadt Turfan noch angenehme 40 bis knapp 45 Grad gemessen im Schatten, sofern vorhanden. Trotz der Hitze lohnen sich in der Umgebung viele Besichtigungen. Die Stadt Jiaohe existierte bereits in vorchristlicher Zeit als wichtiges Herrschafts- und Handelszentrum, bis sie von Dchingis Khan zerstört wurde. Die Häuser und dicken Lehmmauern zeugen von ihrer Bedeutung, wenn sie auch langsam verfallen. Ein weiterer Höhepunkt sind die Bezeklik-Höhlen. Sie erstrecken sich oberhalb eines Tals als Galerie. Alle Höhlen wurden bemalt und freskiert mit Motiven des Buddhismus. Die Fresken weisen kaum Zerstörungen auf, da sie, wie es in einem Bericht ironisch-untertrieben heißt, dem portativen Ehrgeiz westlicher Forscher des 19. Jahrhunderts entgingen. –  Nicht weit entfernt findet man die innen malerisch ausgeschmückten Gräber von Astana. Sie wurden zwischen 300 und 800 n. Chr. genutzt. –  Weitere Sehenswürdigkeiten Turfans sind die Emin-Moschee mit stilreinem afghanischem Minarett und die alten Karez-Kanäle. Sie versorgten die Wüstenstadt unterirdisch mit Wasser. – Der Unterzeichner muss angesichts der vielen kulturellen Sehenswürdigkeit etwas Profanes gestehen: Ihm sind ganz besonders in Erinnerung die unglaublich aromatischen Turfanrosinen geblieben. Sie erhalten ihr einmaliges Aroma durch die blitzschnelle Trocknung im heißen Wüstenwind.

Von der Taklamakan geht’s an den Südrand der Gobi, also zur nächsten Wüste. Bei Dunhuang türmt sich ein Meer von bis zu 300 m hohen Sanddünen auf. Sie umgeben den Mondsichelsee. Er wurde seit 2000 Jahren nicht zugeweht. Der malerische Mingyue-Pavillon ist zwischen Seeufer und Dünen eingeklemmt. Die Dünen geben bei rutschendem Sand verschiedene Töne von sich. Sie werden deshalb singende Dünen genannt.

Wenige Kilometer entfernt befindet sich ein weiterer Höhepunkt der Seidenstraßenkultur und zwar erneute 1000-Buddha-Höhlen: die Mogao-Grotten. Hier reihen sich viele bemalte alte Höhlen aneinander. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte ein buddhistischer Mönch dort eine Vision, grub eine erste Grotte in den weichen Stein und malte sie aus. Ihm folgten 1000 Jahre lang andere Gläubige.

Über den Jiayu-Paß erreicht man durch bizarre Gebirgslandschaft das Ende der Großen Mauer aus der Mingzeit (1368 bis 1644 n. Chr.). Sie mündet in ein gewaltiges Fort. Der Architekt hat den Steineverbrauch der Gebäude angeblich so gut berechnet, dass von Millionen Steinen nur einer übrig blieb. Zum Beweis liegt er auf einem Mauervorsprung.

Etwa 200 km entfernt trifft man auf ein Naturschauspiel von betörender Schönheit. Bei Thangiye darf man den Danxia-Geo-Park nicht versäumen. Wüstenhafte Berge, möglicherweise versteinerte Dünen, entwickeln ein Farbspektakel, das bei jeder Veränderung der Sonneneinstrahlung changiert. Verlässt man das Gebiet, ist man trunken von dem Farbenrausch der Natur.

Hier endet der erste Teil der Reise auf der antiken Seidenstraße. Demnächst wird sie fortgesetzt mit einem Schlusspunkt in Peking.

Text/Bilder: UM

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