The Big Five – Die Großen Fünf – Ein afrikanischer Mythos –
13. Juli 2020Genau genommen handelt es sich bei den Großen Fünf nicht um einen Mythos afrikanischen Ursprungs. Er wurde von europäischen Großwildjägern in die Welt gesetzt, um eigenen Mut, Ausdauer und jägerisches Können zu demonstrieren, weil die Jagd auf die Großen Fünf angeblich die gefährlichste und schwierigste überhaupt ist. Die Großen Fünf sind: Elefant, Nashorn, Löwe, Schwarzbüffel und Leopard. Inzwischen wird jedem auf Safari im Busch des südlichen und östlichen Afrikas der Mund wässrig gemacht, die Großen Fünf zu sehen und nicht vors Gewehr, aber vor die Kamera zu kriegen. Da die (Foto)Jagdleidenschaft sich mit solchen Bezeichnungen erhöhen lässt, wurden sie mit Weißem Hai und südlichem Glattwal auf sieben erhöht. Von Touristikern wurden gleich noch weitere Fünfergruppen erfunden: die Schönen Fünf (Impala, Kronenkranich, Gepard, Karminspint, Gabelracke), die Hässlichen Fünf (Hyäne, Warzenschwein, Marabu, Geier, Gnu), die Kleinen Fünf (Ameisenlöwe, Elefantenmaus, Leopardschildkröte, Nashornkäfer, Büffelweber), die Scheuen Fünf (Erdmännchen, Erdferkel, Stachelschwein, Erdwolf, Löffelhund) und die Unmöglichen Fünf (Bergleopard, weißer Löwe, nochmals Erdferkel, Schuppentier, Buschmanns Hase). (Für Vollständigkeit der Aufzählung wird keine Gewähr übernommen.)
Sei es, wie es sei, diese zusätzlichen Fünfergruppen einschl. der sieben sind nur ein müder Abklatsch vom Mythos der Großen Fünf. Jeden, der mit oder ohne Kamera im afrikanischen Busch unterwegs ist, durchrieseln Glücksgefühle, wenn er sie alle sieht. Kann er sie auch noch in spektakulären Posen oder am selben Tag fotografieren, ließe sich das nur noch von sechs Richtigen im Lotto übertreffen. (Der Unterzeichner ist gegen solche Euphorien natürlich gefeit.)
Elefanten zu finden, ist nicht schwer wegen ihrer Größe und hohen Zahl in einigen Nationalparks. Dennoch fasziniert jede Begegnung mit ihnen. Mächtige Bullen trotten langsam an einem vorbei. Man muss ihnen nur Platz machen, damit sie merken, dass man ihren höheren Rang respektiert. Vorsicht sollte man walten lassen bei Herden mit kleinen Kälbern. Unerfahrene sowie überbesorgte junge Mütter – hier gibt’s auch Helikoptermütter – können leicht zum Angriff übergehen, während die erfahrenen Muttertiere unbesorgt weiter fressen, wenn ihr Nachwuchs mit aufgestellten Ohren den offenen Wagen des Betrachters zum Kampf auffordert. Beobachtet man Elefanten beim Baden, so erinnert ihr Planschen, Tauchen, Prusten und Spritzen an menschliche Kinder im Freibad. Wenn eine Elefantenherde knapp am eigenen Wagen vorbeizieht und Tier auf Tier keinerlei Notiz vom Auto nimmt, merkt man, wie friedlich die grauen Riesen sind. (Sie sollten übrigens schwarze Riesen heißen, denn ihr Erscheinungsbild ist schwarz bis dunkelgrau, sobald sie das Wasser verlassen haben und der Staub abgewaschen ist.)
Büffel treten selten alleine auf. Manchmal erspäht man am Horizont eine Staubwolke wie von einem Sturm. Der Boden erzittert, und dann ist man umgeben von einer bis zu Tausend zählenden Büffelherde. Sie könnte ohne weiteres den Wagen umstoßen, tut es jedoch nicht, da die Büffel ihn anscheinend für einen Felsen halten. Einige verharren mit erhobenem Kopf in Richtung Auto. Weil sie schlecht sehen, sondieren sie mit Gehör und Geruch. Verhält man sich ruhig, drehen die Büffel bei und schließen sich den anderen an, bis alle und man selbst vom Staub verschluckt sind. Man sollte aber nicht vergessen, dass Büffel neben Flußpferden die wesentlichen Menschentöter unter Afrikas Tieren sind. Man muss stets Vorsicht walten lassen. Dies gilt besonders bei einzelnen Büffeln. Dies sind Bullen, die den Herden nicht mehr folgen können und ohne deren Schutz besonders misstrauisch und aggressiv sind.
Löwen sind oft recht langweilig. Bei der ersten Begegnung mit ihnen im offenen Wagen steigt der Blutdruck. Er sinkt schnell wieder, denn die meiste Zeit liegt das Rudel faul um den Wagen herum. Gelegentlich hebt einer den Kopf, um einen schläfrig anzublinzeln, ein anderer dreht sich auf den Rücken, ein dritter erhebt ich gemächlich und lässt sich nach drei Schritten mit einem Seufzer fallen. Nur die Jungen bringen Leben in die Szenerie mit ihrem Umherspringen, ihren Kämpfen und Quieken. Hüpfen sie auf die Erwachsenen, ertragen diese die Störung mit stoischer Ruhe. Sobald die Löwen etwas wahrnehmen, das Beute oder Gefahr sein könnte, verwandeln sie sich blitzartig in gespannter Aufmerksamkeit von müden Faulenzern zu kampfbereiten Großkatzen.
Nashörner waren früher weit verbreitet. Infolge des Wunsches der Südaraber, einen Krummdolch (Kanjar) mit Nashorngriff zu besitzen, was im Prestigewert wohl nur von einem Goldgriff übertroffen wird, und infolge der aberwitzigen Vorstellungen in China über medizinische und Potenz steigernde Wirkung von geriebenem Nashorn ist der Preis des Horns so gestiegen, dass sich für Wilderer fast jedes Risiko lohnt. (Nebenbei: Die Chinesen könnten Nägel kauen oder Haare essen. Wie diese besteht das Nasenhorn aus Keratin.) Hemmungslose Wilderei hat die Nashörner fast ausgerottet. Dank besserer Ausrüstung der Wildhüter und strengem Schutz hat sich der Bestand der Tiere heute auf niedrigem Niveau stabilisiert. Deshalb gestaltet es sich zwar schwierig, auf Nashörner zu treffen, ist aber möglich. Das Spitzmaulnashorn (schwarzes Nashorn) ist seltener zu sehen – wohl auch wegen seiner versteckteren Lebensweise als Laubfresser im Busch – als das Gras fressende wesentlich größere Breitmaulnashorn. Seine Bezeichnung „weißes Nashorn“ entspringt einem Übersetzungsfehler von „wide“ für das breite Maul. Führen beide Nashörner Junge, so erkennt man sie oft aus der Ferne schon daran, dass das Junge des Spitzmaulnashorns hinter der Mutter läuft, die eine Schneise in den Busch schlägt, während der Nachwuchs des Breitmaulnashorns vor der Mutter läuft, so dass sie es im offenen Grasgelände im Auge halten kann.
Der kleinste der Großen Fünf, der Leopard, sieht gern, aber lässt sich ungern blicken. Er beobachtet die Umgebung aus dichtem Buschwerk oder hohen Bäumen. Da man auf der Suche nach der gefleckten Katze ständig die Bäume absucht, kann es passieren, dass man seinen Blick nach oben richtet und ein Leopard am Wagen vorbei läuft. Diese kleinste der Großkatzen fasziniert mit ihrer Eleganz, Geschmeidigkeit, Kletterkunst und unglaublichen Kraft. Sie schleppt ein Impala von ihrem Gewicht ohne weiteres einen senkrechten Baum hinauf.
Der Unterzeichner erfreut sich immer wieder an der vielfältigen afrikanischen Tierwelt und meint, nicht auf den Mythos der Großen Fünf hereinzufallen, erlebt aber jedes Mal ein Hochgefühl, wenn er innerhalb weniger Tage oder gar binnen eines Tages alle fünf findet und aufs Bild bannen kann.
Text/Bild: UM