Schlimme Erlebnisse in den letzten Kriegstagen – Der Zeitzeuge Theo Gerdes berichtet
13. Juli 2020Sögel – In unserer Juni-Ausgabe haben wir in einem ersten Teil von den Ereignissen der letzten Kriegstage ab dem 8. April 1945 in Sögel berichtet und dabei den Zeitzeugen Hans Grote zu Wort kommen lassen. In diesem Heft geben wir die Erinnerungen des heute 88-jährigen Theo Gerdes wieder.
Die Gesamtzusammenhänge des Geschehens unter Berücksichtigung des Briefes vom damaligen Pfarrers Georg Wolters hat Marina Heller bereits in der Juni-Ausgabe beschrieben. Weitere detailliert beschriebene Hintergründe finden wir in dem von Bernd Eggert verfassten Buch „Wie war es wirklich? April 1945. Kriegstage in Sögel und der Region“. Eggert ergänzte die Erinnerungen von Theo Gerdes in unserem Zeitzeugengespräch mit seinen Erkenntnissen.
Theo Gerdes wohnte damals wie heute im sogenannten „Nordend“ der Gemeinde, das von den schlimmen Ereignissen in besonderer Weise hart betroffen war. Als 13-jähriger erlebte Gerdes Schlimmes und musste, wie die anderen Bewohner, um sein Leben bangen. Am 8. April seien in Sögel noch deutsche Truppen untergebracht gewesen, unter anderem am Loruper Weg in Höhe der heutigen Markus-Kirche, so Gerdes, und auch beim Schloss Clemenswerth, laut Bernd Eggert. Hier war das eigentliche Ziel der heftigen Bombenangriffe am Nachmittag des 8. Aprils. Sie trafen allerdings das Südend von Sögel.
Wie auch andere Familien beschloss Familie Gerdes den Ort zu verlassen. Auf dem Ackerwagen wurde das Notwendigste verstaut. Man flüchtete zum „Pastors Kamp“, einem Waldgebiet im Umfeld des heutigen Raddesees. Am Mittag des nächsten Tages, die kanadische Truppen waren zu diesem Zeitpunkt in Sögel einmarschiert, kehrte man zurück. Die Bombenabwürfe hatten 12 Todesopfer gefordert, viele Menschen schwer verletzt und hohen Sachschaden verursacht. Mit den Kanadiern kam man zunächst gut zurecht, sagte Gerdes. Man tauschte Eier gegen Kaffee.
Der folgende Tag nahm einen dramatischen Verlauf, denn die Familie Gerdes geriet in ihrem Haus bei einem Feuergefecht zwischen die Fronten einiger deutscher Soldaten, die zuvor ins Haus eingedrungen waren, mit den kanadischen Einheiten. „Wir wurden alle in den Keller geschickt, um uns zu schützen. Nur unsere Oma wollte nicht mit“, schilderte Gerdes die Ereignisse. „Wir hatten große Angst, als dann die Kanadier mit lautem Geschrei und Gebrüll ins Haus eindrangen, um die deutschen Soldaten aufzuspüren.“ Die Nerven der kanadischen Soldaten lagen blank, denn bei den nicht mehr erwarteten Angriffen der Wehrmacht aus Kellern und Scheunen kamen acht kanadische Soldaten ums Leben. Die Gründe, Folgen und die Auswirkungen der weiträumigen Sprengungen wurden in der letzten Ausgabe beschrieben.
Wie Bernd Eggert recherchiert hat, gebrauchten die Kanadier für ihren weiteren Vormarsch rund 34000 Tonnen Schutt, um einen festen Untergrund auf der für schwere Kriegsfahrzeuge unwegsamen Marschstrecke Richtung Friesoythe zu schaffen. Rund 17000 Tonnen wären letztlich zusammengekommen. Die gesprengten Häuser seien zusätzlich angezündet worden, um den Schutt von Holz und Tierkadavern zu befreien.
Auch die Familie Gerdes wurde zur Kirche beordert, wo eine Zeit der Ungewissheit und Todesangst durchlebt wurde. Während die Männer draußen ausharren mussten, durften Frauen und Kinder in die Kirche. Währenddessen wurde die gesamte Nordstraße, in der der Hof Gerdes gelegen war, gesprengt.
Als Theo Gerdes dann später mit seiner Großmutter nach Hause gehen wollte, wurde das Ausmaß der Zerstörungen deutlich. „Wir konnten unser Haus zunächst in den Trümmern gar nicht wiederfinden“, erinnert er sich. Man fand schließlich die gesprengten und ausbrannten Hofgebäude. Lediglich das heute noch vorhandene Hofkreuz auf der gegenüberliegenden Straßenseite beim Hause des früheren Zahnarztes Koop wurde verschont. Im Garten fand man lediglich noch ein Kalb und Hühner, das gesamte Hab und Gut war vernichtet worden. Man hatte kaum etwas zum Anziehen behalten können. Die Kühe in der Weide hatten überlebt. „Wir konnten melken, hatten aber keine Tasse, um die Milch zu trinken“, ergänzte Gerdes und sagte, dass man rund eineinhalb Jahre bei der verwandten Familie Grotjohann in der Amtsstraße untergekommen sei.
Sein Vater habe in dieser leidvollen Zeit zu seiner Familie gesagt: „Wenn wir es schaffen unser Haus wieder aufzubauen, dann geht es uns wieder gut“. Bei allem Tatendrang bestand das Problem darin, dass die Kanadier den Schutt abtransportiert hatten und es somit keine Steine mehr zum Verbauen gab. Man habe die Fundamente mit Feldsteinen erstellt und sich Steine aus den Mauern alter Keller aus dem geräumten Dorf Wahn besorgt. So konnte letztlich an gleicher Stelle ein neues Haus errichtet werden.
Aus den von Bernd Eggert zusammengeführten Unterlagen geht übrigens hervor, dass die Kanadier sehr genaue Aufzeichnungen über das Kriegsgeschehen verfasst haben, die viele Ereignisse aus ihrer Sicht erklären. Interessanterweise befand sich im Umfeld des heutigen Forums an der damaligen Nordstraße ein Camp. Davon wurde seinerzeit ein ausführlicher Lageplan mit vielen Details erstellt, dessen Authentizität Gerdes bestätigen konnte.
Text/Fotos/Repros: Lambert Brand