Eine Zeitreise durch die Geschichte der Sögeler Wirtschaft
19. Januar 2020Sögel – Der Wirtschaftsverband Sögel hat anlässlich seines
165-jährigen Jubiläums mit lokalen Wegbegleitern und dem Forum Sögel eine
Zeitreise durch die Wirtschaftsgeschichte der Hümmlinggemeinde unternommen.
Seit der Gründung des ursprünglichen „Lokal- und Gewerbevereins“ im Jahre 1854,
der nach dem Zweiten Weltkrieg den Namen „Handels- und Gewerbeverein“ (HGV)
trug und heute als „Wirtschaftsverband“ firmiert ist, passierte viel in der
Sögeler Wirtschaftswelt. Einen Teil der Geschichte hat das Forum Sögel im Buch „Sögel
nach 1945 – Vom Chaos ins neue Jahrtausend“ festgehalten. Bernd Eggert,
Vorsitzender des Forums, hat den neuen Band auf der Veranstaltung vorgestellt:
„Die Buchpräsentation passt wunderbar in das Gefüge des
Wirtschaftsverbandjubiläums, da die Wirtschaft einen maßgeblichen Anteil zur
Entwicklung Sögels beigetragen hat.“ Aus diesem Grunde hätte das Forum ein
Drittel des Buchinhalts der Wirtschaftsgeschichte gewidmet. „Wir möchten
insbesondere die Personen würdigen, die Sögel gestalten und gestaltet haben“,
so Eggert. Auf 544 Seiten beleuchten die ehrenamtlichen Autoren mit 822 Fotos
darüber hinaus, wie Sögel nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen und der Ort
sich daraufhin entwickelt hat. Weitere Kapitel sind der Vielfalt des Schul- und
Bildungswesens sowie den Vereinen gewidmet. Das Buch ist ab sofort im Forum
Sögel, bei der Tourist-Information und im Bücher- und Schreibwarenladen Lübs
zum Preis von 20 Euro erhältlich.
„Es ist wichtig, seine eigenen Wurzeln zu pflegen. Die Sögeler dürfen stolz darauf
sein, was sie in der Vergangenheit auf die Beine gestellt haben und auch heute
noch wahren“, leitete der Moderator Gerd Schade, Redaktionsleiter der
Ems-Zeitung, in die anschließende Talkrunde ein. Sein erster Gesprächspartner
war der Leiter des Gemeindearchivs, Eckhard Bredohl, der über Gewerbe und
Handel auf dem Hümmling ab 1850 referierte. Zu den damaligen Zeiten sei das
Emsland eine arme Region gewesen. „Ein besonders einschneidendes Ereignis war ein
Brand im Jahre 1840, der viele Häuser zerstörte. Aufgrund der schlechten
Infrastruktur gestaltete sich der Wiederaufbau der Häuser schwierig“, so
Bredohl. Aus diesem Anlass habe sich damals der Lokal- und Gewerbeverein
zusammengefunden, der zunächst aus fünf Vorstandsmitgliedern und insgesamt 44
Mitgliedsbetrieben bestand. Im Jahre 1861 zählte der Verein bereits 105
Mitgliedsbetriebe, darunter unter anderem Tischler, Zinngießer, Schlachter,
Maler, Glaser, Schornsteinfeger, Buchbinder, Zimmermänner, Schmiede und sogar
ein Fotograf. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sögel 1.200 Einwohner. Bemerkenswert
ist laut Bredohl außerdem, dass die Landwirtschaft damals kein entscheidendes
Element für die Einwohner der Gemeinde Sögel war. Aufgrund des florierenden
Einzelhandels siedelten sich bereits in den 1860er Jahren das Krankenhaus und
die Sparkasse, damals „Amtskasse“, mit Unterstützung von der Kirche in Sögel
an. Die Bank benötigte bereits im Jahr 1870 einen Tresor und konnte 1880 die
erste halbe Million verzeichnen.
Der ehemalige Kaufmann und Molkereibesitzer Hans-Günther Sanders erinnerte an
„ein reges Treiben in der ehemaligen Kreisstadt Sögel“ in den 1920er und 1930er-Jahren
zurück. Damals habe es viele Gaststätten und Hotels, öffentliche und staatliche
Gebäude sowie einen standhaften Einzelhandel gegeben. Besonders in Erinnerung
war ihm die Reiseagentur geblieben, in der man bereits Schiffsreisen nach
Amerika buchen konnte. „Zu den damaligen Zeiten war der Einzelhandel
persönlicher. In der Regel führten die Ehefrauen die Geschäfte und man trank
erstmal eine Tasse Tee, wenn man den Laden betrat“, berichtete der heute
90-jährige.
„Sögel war immer ein Knotenpunkt“, bestätigte auch der Unternehmer Günter
Bartels, der die gewerbliche Entwicklung aus den Trümmern heraus von klein auf
miterlebt hat. Bereits damals habe es einen Viehmarkt mit Gewerbeschau gegeben.
Eingeprägt habe sich ihm jedoch die Währungsreform im Jahr 1948, die einen
wirtschaftlichen Aufschwung und volle Geschäfte brachte. „Als kleiner Junge
musste ich morgens die Gasflaschen zu den Kneipen bringen. Zur damaligen Zeit
waren diese bereits um 11 Uhr morgens voll besetzt“, so Bartels. Auf der ersten
Frühjahrsmesse im Jahre 1953 im Hotel Janssen waren die neuen Gasherde ein
„echter Verkaufsschlager“, von denen er damals 20 Stück während der Ausstellung
verkauft hat. 1955 kamen mit dem Goggomobil und der BMW-Isetta die ersten Autos
auf den Markt, für die kein Führerschein benötigt wurde. „BMW stellte die
Produktion allerdings bereits 1964 wieder ein. Dies hatte zur Folge, dass viele
Kunden Autos auf Reserve kauften“, erinnerte sich Bartels. Ein Auto habe
seinerzeit rund 1750 Deutsche Mark gekostet.
Gitta Knipper und Helmut Westermann erzählten von den Anfängen und der
Weiterentwicklung des Weihnachtsmarktes. 1974 hatten die damaligen
Vorstandsmitglieder des HGV die Idee, einen Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz
zu veranstalten. „Auf dem ersten Weihnachtsmarkt konnten wir ein
Kinderkarussell, Back- und Spielwaren, Getränke und bunte Bilder, die in einer
Waschmaschine entstanden, anbieten“, berichtete Westermann. Der anfänglich
kleine Weihnachtsmarkt entwickelte sich jedoch schnell zu einem beliebten
Ausflugsziel und einer vorweihnachtlichen Gewerbeschau der Region mit 20.000
Besuchern auf einer Zeltfläche von 1.400 Quadratmetern. „Damals gab es nur in
Meppen einen weiteren Weihnachtsmarkt“, so Knipper. Jedoch hätten innerhalb von
wenigen Jahren neue Weihnachtsmärkte in den umliegenden Gemeinden eröffnet,
sodass die Besucherzahlen mit der Zeit wieder rückläufig waren.
Maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung war auch die Gründung der
Gewerbegebiete „Am Mühlenberg“ und „Püttkesberge“. 1998 hat der Gemeinderat
Sögel Westermann zufolge beschlossen, das ehemalige Kasernengelände am
Mühlenberg zu kaufen. Schnell machte sich mit der Firma Karl Steinbild bereits
im Jahr 1999 der erste gewerbliche Betrieb dort ansässig. 2001 waren 22
Gewerbetriebe auf dem Gelände angesiedelt und im Jahr 2004 verkaufte die
Gemeinde das letzte freistehende Gebäude an die Zahnarztpraxis Klawitter und
Dimler. Das Gewerbegebiet Püttkesberge ist laut Ludwig Koopmann ebenfalls in
den 90er-Jahren entstanden, da viele Geschäfte mehr Platz brauchten.
Alfons Kohne erklärte die Beweggründe für die Umbenennung des HGV zum
Wirtschaftsverband: „Der Wirtschaftsverband ist ein Zusammenschluss aktiver
Wirtschaftsunternehmen zur Förderung von Handel, Handwerk, Industrie und
Tourismus in der Gemeinde Sögel. Aufgrund der neuen Strukturen war der Titel
des Handels- und Gewerbevereins nicht mehr tragbar, sodass wir den Namen nach
gründlicher Überlegung und kontroverser Diskussion ausgeweitet haben.“ Die
Vorsitzende des Wirtschaftsverbands, Anja Deeken-Rickermann und die
stellvertretenden Vorsitzenden Dirk Vagedes sowie Peter Moritz, dankten allen
Mitwirkenden und den 170 Mitgliedsbetrieben des Vereins. „Es ist uns ein
wichtiges Anliegen, in Zukunft weiterhin den Gemeinschaftsgedanken zu wahren,
uns auf Augenhöhe zu unterhalten und Angelegenheiten gemeinsam zu bewältigen,
um unsere Ziele gemeinsam zu erreichen,“ blickte Deeken-Rickermann zuversichtlich
auf die kommenden Jahre. Anlässlich der Jubiläumsveranstaltung ist am
vergangenen Wochenende die neue Homepage des Wirtschaftsverbands online
gegangen und die neue Version des Sögel-Gutscheins in den Verkauf gestartet.
Der stellvertretende Bürgermeister Günther Wucherpfennig dankte allen
Beteiligten für „die tiefen Einblicke in die Sögeler Geschichte“ und ihr
ehrenamtliches Engagement. „Der Wirtschaftsverband Sögel hat es sich zum Ziel
gesetzt, die Kräfte der kleinen und mittleren Unternehmer, der Freiberufler,
des Handels, des Handwerks, des Dienstleistungsgewerbes, der Industrie, der
Landwirtschaft und der Banken zusammenzufassen und damit seit seiner Gründung
zur örtlichen Entwicklung beigetragen“, so Wucherpfennig. Da der Einzelhandel
sich durch die rasante Entwicklung des Onlinehandels derzeit im Umbruch
befinde, sei es wichtig, dass viele Persönlichkeiten der Gemeinde in Zukunft
weiterhin Verantwortung übernehmen.
Text/Foto: Marina Heller