Kulturkreis Clemenswerth
1. Dezember 2019Fabian. Der Gang vor die Hunde
Am 2. November war es wieder soweit, mit „Fabian. Der Gang vor die Hunde“ begann der Kulturkreis Clemenswerth die diesjährige Theatersaison und lockte damit sowohl Schüler als auch spontane Besucher in die Aula des Hümmling Gymnasiums.
Die Landesbühne Niedersachsen Nord hatte das Stück innerhalb eines Jahres für die Bühne adaptiert, der Abend versprach also erfrischend neu und aufgrund der Thematik auch amüsant und tiefgründig zu werden.
Das Berlin der „wilden“ 20er Jahre ist Fabians (Robert Zimmermann) Umgebung, im Café liest er die Schlagzeilen des Tages: Katastrophen, Mord und Krieg. Um der unerfreulichen Realität zu entfliehen, gibt er sich den schillernden Lichtern und dem scheinbar leichtfertigen, pulsierenden Nachtleben hin, auch wenn er es in viererlei Hinsicht als zu exzessiv erkennt. Mit Cornelia (Leontine Vaterodt) scheint sich das Blatt zu wenden. Endlich eine ernste Beziehung anstelle der zynischen Gefühle, die er Frauen sonst entgegenbringt.
Leider bleibt ihm das Glück nicht hold: Am nächsten Tag verliert er seinen Job, sein bester Freund begeht Selbstmord und Fabian verfällt ins Grübeln, wodurch er seine Freundin verliert.
Er kehrt zurück ins nächtliche Berlin und versucht, seine Sinnkrise durch exzessive sexuelle Ausschweifungen vergessen zu machen. Das misslingt jedoch gründlich.
Fabian wird bewusst, dass er sich selbst in den funkelnden Lichtern der Stadt verliert, und dass er sich der sinnentleerten Oberflächlichkeit der modernen Großstadt hilflos ausliefert. Er kehrt zu seiner Mutter aufs Land zurück. Er möchte dem Zynismus den Rücken kehren und ein besserer Mensch werden, leider stirbt er bei dem Versuch, ein Kind aus einem Fluss zu retten.
Kästners „Fabian“ wurde 1931- zensiert und überarbeitet – veröffentlicht, es wurde für zu anzüglich befunden. Erst 2013 erschien das Originalmanuskript „Der Gang vor die Hunde“, welches die zotige Sprache und sämtliche anzüglichen Handlungen des Originalmanuskripts wieder zurück erhielt. Die Schauspieler der Landesbühne Niedersachen Nord sehen sich in der Pflicht, die Atmosphäre der Originalfassung auf die Bühne zu transferieren, was ihnen dank der Regie von Tim Egloff mit Leichtigkeit und Witz gelingt. Dem Sögeler Publikum – bemerkenswerter Weise wohl vor allem den Jüngeren – schien dieses Spiel schon fast peinlich zu sein, wie diverse Gesprächsfetzen aus dem Foyer verrieten – genau das hätte Kästner sicherlich gefallen. Zu realistisch ist die Darstellung, zu deutlich wird, es hat sich eigentlich nichts verändert.
Auch wenn fast 90 Jahre zwischen Urfassung und aktueller Inszenierung liegen, zeigt sich, dass die beklemmende Freiheit von moralischen Werten, das unersättliche Streben nach unbedingter und sofortiger Befriedigung eigener Bedürfnisse und Beliebigkeit ethischer Konsensfähigkeit in der modernen urbanen Gesellschaft an Aktualität nichts eingebüßt hat. Durch die moderne Sprache fühlt man sich fast schon schmerzhaft an den eigenen Alltag erinnert. Einige Zuschauer konnten damit wohl nur schwer umgehen, wie die geleerten Reihen nach der Pause zeigten. Auch die Schüler waren aufgewühlt, denn unter Theater hatte man sich doch etwas ganz anderes vorgestellt, und das „der Kinderbuch-Kästner“ so geschrieben haben sollte…nun ja, man darf eben niemanden zu schnell in Schubladen stecken. Noch mehr bewegt allerdings die Geschichte um Fabian. War er zu optimistisch? Wo genau liegt der Fehler, wenn man sich nicht mit dem zufrieden gibt, was der Alltag bietet? Wahrscheinlich wird das Stück noch lange nachwirken und hoffentlich bis zum Abitur verdaut sein. Die Darsteller hatten sich den langanhaltenden Applaus auf jeden Fall mehr als verdient!
Kleiner Adler ganz groß
Am 11.11. 2019 lud der Kulturkreis Clemenswerth zur ersten Kindertheaterveranstaltung der Saison nach Werlte in den St.-Sixtus-Kindergarten. Das Puppentheater „Die roten Finger“ warb mit dem musikalischen Theatererlebnis „Kleiner Adler ganz groß“, und die Turnhalle des Kindergartens war erwartungsgemäß bis zum letzten Platz gefüllt.
Der Indianerjunge Kleiner Adler möchte erwachsen werden und muss dafür seinen Mut beweisen: Eine Nacht und einen Tag lang muss er fernab seines Stammes zurechtkommen. Obwohl seine Freundin Regenbogenmädchen ihn ungern gehen lässt, sieht kleiner Adler den zu erwartenden Komplikationen positiv entgegen, denn Mutter Erde und Vater Himmel, so ist er sich sicher, werden ihn beschützen und leiten.
Was Kleiner Adler nicht ahnt: Zwei weiße Jungs, Joe und Willi, streifen ebenfalls durch das Gebiet. Sie wollen dem Häuptling der Indianer die Federn stehlen und sich durch ihre Tat daheim profilieren.
Leider laufen sie Kleiner Adler hinterher, und als die drei aufeinander treffen, zeigen Joe und Willi, wie wenig Respekt sie gegenüber dem fremden Jungen haben. Kleiner Adler verfolgt jedoch weiter seinem Traum und lässt sich von den Jungs nicht aufhalten. Als Joe sich jedoch verletzt und der schreckhafte Willi vor einer Schlange flieht, zeigt sich die innere Größe von Kleiner Adler. Er führt Joe durch das Gewitter zu seinem Dorf und kümmert sich dort um seine Verletzungen. Aufgrund dieser Tat darf er sich von nun an „Großer Adler“ nennen und feiert gemeinsam mit den beiden weißen Jungs und Regenbogenmädchen ein ausgelassenes Indianerfest.
Indianergeschichten sind für Kinder immer verbunden mit Abenteuer, Freiheit und Natur. Mit Kleiner Adler begleiten sie einen ganz besonderen Jungen auf seiner Reise und werden mit ihm groß, wobei das Spiel aus der kulturellen Fremdheitserfahrung heraus eine Menge Spannung entwickelt. Obwohl die Thematik komplex erscheint, kann das teilweise sehr junge Publikum ohne Schwierigkeiten folgen, da kindliche Schlüsselerfahrungen einfühlsam in den Vordergrund gestellt werden. Zum Einen ist da die Reise des Indianerjungen: Ohne seinen Stamm und den vermeintlichen Schutz, den die Familie bietet, macht er sich auf und fühlt sich doch nicht alleine, denn er erkennt Pflanzen und Bäume als gleichwertige Lebewesen an und bewegt sich selbstsicher und ohne Zweifel durch fremdes Gebiet. Zum anderen ist da noch die Rivalität der weißen Jungen, die sowohl untereinander als auch Kleiner Adler gegenüber ein sehr respektloses, manchmal sogar gewalttätiges Verhalten an den Tag legen, von jenem jedoch im Gegenzug nichts als Freundlichkeit erhalten, sodass sie schlussendlich zur Einsicht kommen: zusammen ist besser als gegeneinander. Bernd Lindes Spiel und Gesang verpacken die Geschichte dabei ganz wunderbar, leicht fließen Dialoge dahin. Fast meint man, das trockene Moos unter sich zu spüren, als der Indianer sich sein Lager baut, und der Flug des Adlers wurde so gekonnt pantomimisch dargestellt, dass gespanntes Schweigen und aufmerksame Augen zwei schwingende Federn verfolgten. Ein Stück also, das nicht nur den Kopf, sondern auch Herz der jungen Zuschauer und Zuschauerinnen bewegte. „Das war ein großartiger Morgen!“ lautete die Kritik einer hingerissenen kleinen Dame, und auf dem Heimweg wurden die Lieder direkt nachgesungen und weitergedichtet. Gerne wieder, lieber Kulturkreis Clemenswerth!
Text: Felicitas Ehrhardt