Vietnam – Vom Norden in den Süden – Teil 2
1. Juni 2019Südlich des Wolkenpasses liegt die Hafenstadt Da Nang. Dort sollte man sich das Cham-Museum mit gewaltigen Steinskulpturen des Champa-Reichs nicht entgehen lassen. Diese Indo-Khmerkultur hat einst Zentralvietnam beherrscht. Bei einem Ausflug ins Landesinnere zur Grenze mit Laos vermitteln die Ruinen der alten Tempelstadt My Son einen Eindruck von der einstigen Größe des Champa-Reichs. Die Stätte ist von dichtem Urwald um- und überwuchert. Man darf nicht zu Fuß laufen, da das Gebiet mit Blindgängern und Minen aus dem Krieg gespickt ist. Ein klappriger russischer Geländewagen, der wohl bei den Ausgrabungen gefunden wurde, rumpelt mich vom Eingang mit kleinem Museum zu den freigelegten Tempelruinen. Die gesamte Atmosphäre mutet grandios und verlassen an. Man kann sich gut vorstellen, dass in dieser Dschungeleinöde einst archaische Riten zelebriert wurden.
Ich kehre in die Jetztzeit zurück. Der malerische Ort Hoi An bietet eine quirlige Altstadt entlang einem Kanal. Da in der kommenden Nacht erster Vollmond nach dem Tet-Fest (Neujahr) ist, wurden auf dem Kanal unglaublich bunte Figuren verankert. Die Gassen zieren Lampions für jedes Land der Erde. Ich kreuze mit einer Rikscha durch dieses fernöstliche Gewimmel.
Dann fliege ich nach Saigon, heute Ho-Chi-Minh-Stadt. Dort empfängt mich tropische Schwüle und ein unsägliches Verkehrschaos. Offensichtlich rattert und stinkt die halbe Welt-Moped Produktion auf Saigons Straßen. Der französische Einfluss drückt sich immer noch in den breiten Alleen, der Hauptpost, dem Bahnhof, der Oper und der Kathedrale aus. Ich besuche die im Vietnamkrieg bekannt gewordenen Hotels Majestic (Ziel von Journalisten sowie Vietcong-Handgranaten) und Rex. In letzterem tue ich mich in der auf dem Dach original erhaltenen Bar um, in der die Amerikaner täglich ihre Erfolgsmeldungen und die Zahl der getöteten Gegner (bodycount!) verkündeten, Märchenstunde geheißen. Ich bummle über lebhafte Märkte und durch das Chinesenviertel Cholon. Dort reihen sich aneinander kleine Geschäfte, Handwerksbetriebe, Restaurants, die bei uns vielleicht als Tierfutterhandlungen durchgingen, und Apotheken mit Medikamenten aus Gruselfilmen.
Mein nächstes Ziel bildet die Reisschüssel Vietnams, das Mekongdelta. Alles wächst dort grün und üppig: Reis, Kokospalmen, Maniok, Wasserbüffel, Schweine, Schmutz und Menschen (letztere nicht grün). Kurz vor Can Tho begebe ich mich aufs Wasser und schippere über kleine Seitenarme des Mekongs vorbei an einsturzgefährdeten Pfahlbauten, explosiven Bootstankstellen und verblüffend gepflegten Kirchen sowie Pagoden. In einem der Pfahlbauten ist eine Manufaktur für Reisplätzchen und andere Schleckereien untergebracht. Die Betreiber sind so reinlich, dass sie mit einer ramponierten Zahnbürste für alle auskommen. Trotz ortsüblicher Hygienestandards lasse ich mir die leckeren Süßigkeiten schmecken. Die Karamellbonbons fördert wohl die Zahnärzteinnung. Denn sie entfernen ohne weiteres Plomben und Brücken. Nach zuckrigem Genuss wird mir die Familienzahnbürste zur Mundhygiene angeboten. – Die Abhärtungsdiät setzt sich fort in einem sehr ländlichen Restaurant neben Gräbern und verschlammten Kanälen. Ich bleibe bei der bewährten Nudelsuppe. Anschließend überquere ich auf einer nur leicht angerosteten Fähre den Mekong, wobei die größte Gefahr in Hunderten von Mopeds besteht, die alle über meine Füße auf das Schiff und wieder hinunter wollen. Mein Hotel in tiefster Provinz ist schlicht, aber annehmbar. (Alle anderen Hotels waren gut bis hervorragend.) Zum Abendessen sitze ich auf einer Dachterrasse in tropisch lauer Mückennacht mit Blick auf den Fluss, wenn man sich die davor liegenden Häuser wegdenkt. Kellner und Küche geben sich größte Mühe, Sonderwünsche zu befriedigen. So erhalte ich statt Fisch eine Schale mit kalten Pommes frites. – Zu Recht war mir vorher versprochen worden, im Delta Land und Leute kennenzulernen.
Am nächsten Morgen erlebe ich während einer Bootsfahrt das geschäftige Treiben auf dem „Schwimmenden Markt“ von Cai Ranh. Jedes Boot trägt an einer Stange, die am Bug aufragt, das, was verkauft wird. Melonen, T-Shirts, tote und lebende Hühner, Schweineköpfe, alles ist ausgesteckt. In einer Manufaktur zwischen halb versunkenen Pfahlhäusern werde ich noch in die Herstellung von Reispapier und -nudeln eingeweiht. Die Produktionsmethoden dürften uraltes Handwerk sein.
Auf festem Boden gelange ich nach Chau Doc, der letzten Stadt am Mekong vor der kambodschanischen Grenze. Vorher hatte ich eine große Marienkirche zwischen Reisfeldern und einen kirchenähnlichen Tempel der fast nur in Vietnam ansässigen Cao-Dai-Sekte bei Tan Ninh besichtigt. Sie verehrt Buddha, Jesus, Laotse, Konfuzius und unter anderen Lenin, Victor Hugo und die Jungfrau von Orleans. Am Rande des Weges nach Chau Doc tauche ich in pralles Landleben ein: Frauen setzten Reisschößlinge und bewässern per Hand, große lebende Schweine werden gefesselt auf Mopeds verladen, Kinder reiten auf Wasserbüffeln.
Hiermit schließt sich der Kreis der drei Länder des früher französischen Indochina. Einiges blieb fremdartig, anderes entsprach nicht unbedingt europäischen Vorstellungen. In der Erinnerung setzen sich jedoch faszinierende Eindrücke von angenehmen Menschen, wunderbaren Landschaften und großartigen fremden Hochkulturen fest.
Mit den nächsten beiden Artikeln bleibe ich in der Region, aber weiter westlich in einem Land, das hier zu Unrecht als nicht des Bereisens wert angesehen wird.
Text/Foto: UM