Papierskulpturen auf Schloss Clemenswerth
1. Oktober 2017Sögel – Bis zum 31. Oktober sind die beeindruckenden „Papierskulpturen“ – so auch der Titel der Ausstellung – der japanischen Künstlerin Mustumi Aoki, die seit 26 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, zu sehen. Gefördert ist die Ausstellung mit Mitteln der EWE Stiftung.
Der erste flüchtige Blick lässt den Betrachter stutzen. Hängen da Menschen, in teils üppigen Kostümen, an den Wänden. Doch beim zweiten Blick, beim genaueren Hinsehen entpuppt sich der erste Blick als Trugschluss. Denn die Arbeiten der Japanerin Mutsumi Aoki zeigen nicht Menschen, sondern nur Kleidungsstücke, vornehmlich historische Kostüme aus dem Barock und der napoleonischen Zeit, aber auch aus der älteren und jüngeren Geschichte. Es sind immer mit Bedacht ausgewählte Kleidungsstücke. Dabei handelt es sich nicht um Originale oder womöglich nachgeschneiderte Textilien, sondern um Imitationen, die aus nassem Papier geformt und nach dem Trocknen mit Hilfe von Naturharz, Leim und Bienenwachs gefestigt sowie farblich gefasst sind. Mutsumi Aoki vermag es die Faltungen des Stoffes, seine Oberflächenstruktur und die Farbgebung so naturalistisch wiederzugeben, das der Betrachter versucht ist, das Gesehene haptisch zu verifizieren. So fällt es dem Rezipienten sichtlich schwer, die Objekte nicht anzufassen. Spätestens aber, wenn die Versuchung größer ist als das Verbot, Ausstellungsstücke zu berühren, erkennt man, dass es sich hierbei nicht um Stoff, sondern um Papier handelt. Mutsumi Aoki hat eine perfekte Illusion geschaffen.
Ebenso besonders wie die Umsetzung von textilen Kleidungsstücken in Papier ist auch deren Drapierung. Denn die vermeintlichen Kleidungsstücke werden nicht auf einem Bügel wie in einem Kaufhaus feilgeboten, sondern in einer menschlichen Haltung, perfekt wiedergegebenen, so, wie das Kleidungsstück in Benutzung, also getragen aussieht. Doch der Träger, der Mensch fehlt. Er scheint sich gerade in diesem Moment, wie von einem Zauber, aufgelöst zu haben, so dass das Kleidungsstück, die noch vom Menschen ausgehende Bewegung in sich trägt. Und es scheint, dass noch ein Rest der Körperwärme in der Luft liegt.
Die Künstlerin Mutsumi Aoki zeigt uns ein sehr besonderes Oeuvre. Sie präsentiert die Kleidung als körperlose Hülle des Menschen und reduziert damit gleichzeitig den Menschen, ohne dass es seiner Anwesenheit bedarf, auf das Äußere, den Schein und vernachlässig damit das Sein. Ihre Arbeiten erscheinen als entseelte Hüllen. Das macht ihre Arbeiten so spannend. Sie bewegen uns und machen uns nachdenklich. Wir erschrecken förmlich über diese Hüllen, die uns einen Spiegel vorsetzen und uns sagen, dass wir nur allzu gern das Äußere höher bewerten als die inneren Werte. Durch das Fehlen des Körpers und der Seele macht sie uns in einer ganz stillen und leisen Art und Weise, damit aber auch besonders eindringlich, auf unsere Schwächen aufmerksam. Sie mahnt uns, das Äußere nicht zu hoch zu bewerten und uns auf die inneren Werte zu besinnen. Es ist eine Mahnung, die so alt ist wie der Glaube und an allen Orten und in allen geschichtlichen Perioden bis in die Gegenwart ihre Berechtigung hat. Dies in der westlichen Kultur genauso wie in der fernöstlichen, was Mutsumi Aoki vielleicht einerseits durch die Auswahl der europäischen Kleidung und andererseits durch die Verwendung des in Japan traditionsreichen Materials Papier andeutet.
Mit der Materialwahl des Papiers stellt sich Mutsumi Aoki ganz in die Tradition der japanischen Papierkunstkultur mit dem berühmten Japanpapier und den Origamis. Ihre Genauigkeit und Behutsamkeit, ihre Ästhetik und Materialität belegen die enge Verwurzelung mit der Kultur ihrer Vorfahren. Und doch geht sie ihren eigenen Weg.
Mutsumi Aoki sagt: „Mein Geburtsland ist Japan, das Land der Sonnengöttin Amaterasu, mein Aufenthaltsort ist Deutschland, meine Heimat ist die Kunst.“
Bei der Finissage (8 €) am 31. Oktober um 16 Uhr haben Besucher noch einmal die Möglichkeit mit der Künstlerin Mutsumi Aoki ins Gespräch zu kommen.
Text: Oliver Fok / Foto: Emslandmuseum Schloss Clemenswerth