Hochkultur im Urwald – Kambodscha

19. Juli 2017

Man ist voller hoch gesteckter Erwartungen auf die Ruinen der Khmer. Übrigens neben den Maya die einzig bekannte Hochkultur, die ihre Stätten im Urwald errichtete. Reist man auf dem Landweg von Vietnam kommend in Kambodscha ein, so erlebt man zunächst einiges, das einen aus höheren Sphären der Erwartung auf den Boden der Realität holt. Das Gepäck muss man in glühender Sonne über die Grenze zu einer unscheinbaren Passstation schaffen. Das Personal dort hat zwar offenkundig nichts zu tun, lässt den Reisenden jedoch mit asiatischer Gleichmut in brütender Hitze warten, bis er gar gebraten ist, während er ein Einreiseformular ausfüllt. In diesem Zustand akzeptiert er, dass sich auf wundersame Weise die Einreisegebühr um 20 % – natürlich in US-Dollars – erhöht hat. Er ist auch bereit, zu bezahlen für ein lächerliches Gesundheitsformular, das nur danach fragt, ob er gesund sei oder huste. (Die Frage nach Hitzschlag fehlt.) – Insgesamt bleibt der Nepp im Land jedoch in touristenverträglicher niedriger Dosierung.

 

Der Weg nach Phnom Penh führt durch ein Land im Zustand wie vor 50 oder mehr Jahren. Ochsenkarren, Hütten aus Reismatten auf Pfählen, in Wickeltücher gekleidete Menschen. Alles wirkt ärmlich, jedoch nicht verhungert oder verwahrlost. Gebettelt wird kaum. Die Leute können offenkundig für ihren Lebensunterhalt sorgen. Die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit imponieren – insbesondere auf dem Hintergrund der Völkermorderfahrung durch die Roten Khmer.

Phnom Penh ist aufgeräumt und ziemlich sauber mit breiten gepflegten Boulevards. Der Verkehr folgt in Ermangelung von Polizei eigenwilligen Regeln. Rot einer Ampel wird als Vorschlag gewertet, langsamer zu fahren. Einbahnstraßenschilder zeigen die überwiegende Verkehrsrichtung an. Da der Unterzeichner die Einheimischen um Haupteslänge überragt und somit gut als bleiche Langnase zu erkennen ist, nimmt man Rücksicht. Die Mopedmassen Hanois oder Saigons, die jeden Fußgänger jagen, waren bedrohlicher als die hiesigen, mit anscheinend kreativer Buchführung erworbenen Geländewagen.

Wesentlich beeindruckender ist die wichtigste Attraktion der Hauptstadt, der gut restaurierte Königspalast am Mekong. Die einzelnen Gebäude, Pavillons, Statuen und Terrassen bilden eine Sinfonie in Gold und geschwungenen Formen. Dächer und Säulen strotzen von Figuren. Der Boden der Silberpagode besteht aus reinem Silber. Unbedingt aufsuchen sollte man das Nationalmuseum. Es befasst sich mit dem Buddhismus und der hinduistisch beeinflussten Khmerkultur. Weitere tiefe Eindrücke hinterlässt ein Bummel über den Markt zwischen Königspalast und Mekong/Tonle Sap See. Er stimmt auf die nächste Mahlzeit ein mit nahrhaften Engerlingen, knusprigen Käfern und gerösteten Vogelspinnen.

Der absolute Höhepunkt Kambodschas steht noch bevor. Mit kurzem Flug ist Siem Reap erreicht, das Tor zu den Tempeln und Palästen von Angkor. Sein gesamtes Areal umfasst mehrere Hundert Quadratkilometer im Urwald. Am bekanntesten ist der riesige Angkor Wat. Über einen von Steinfiguren gesäumten Prozessionsweg erreicht man seinen Eingang. Im Inneren erheben sich bauchige Kegeltürme und Tempel. Um die Anlage läuft ein 800 m langes steinernes Relieffries. Es zeigt Szenen des Lebens, vor allem der Schlachten der Khmerkönige. In der Tempelgruppe von Roluos kann man die Entstehung der Khmer-Tempelberge nachvollziehen. Mit unglaublich schnitzerischer Feinheit wird in Steinreliefs hinduistische Mythologie bildhaft dargestellt. Hatte man bereits Angkor Wat und seine romantischen Spiegelungen in Tempelseen für den Höhepunkt gehalten, so stellt man fest, dass der 210 ha große Tempelkomplex Angkor Thom mindestens ebenbürtig ist. Im Zentrum steht der Bayon-Tempel mit seinen berühmten Gesichtertürmen. Die Antlitze überschauen geheimnisvoll mit entrücktem Mona- Lisa -Lächeln den Urwald in alle vier Himmelsrichtungen. Sie laden zu Meditationen ein. Eine weitere traumhafte Anlage stellt der von Urwaldriesen überwucherte Tempel Ta Prohm dar. Man wunderte sich nicht, in dieser malerischen Ruinenstätte Figuren aus Kiplings Dschungelbuch zu treffen. – Es ließen sich weit mehr Anlagen der Khmerkultur schildern. Sie reichen bis ins heutige Thailand. Aber selbst diese kurze Darstellung führt vor Augen, dass die Khmerbauten wie die Pyramiden von Gizeh oder die Tempel und Paläste der Azteken sowie Mayas in die Liste der Weltwunder gehören.

Zuletzt ein paar persönliche Worte: Ich habe mich lange gescheut, Kambodscha zu besuchen, um nicht über die „killing fields“ der verbrecherischen Roten Khmer mit touristischer Unbedarftheit zu spazieren und so die Würde der Ermordeten und das Gedenken der Angehörigen zu beschädigen. Aber wer dezent auftritt, wird von den Kambodschanern geschätzt. Er zeigt den dortigen Menschen die Anerkennung des „Xenos“ (griechisch Fremder, Gastfreund), würdigt die heutige und vergangene Kultur und schafft nicht zuletzt Arbeitsplätze. Die Nachfahren der Opfer wünschen Tourismus, der ihre Würde nicht verletzt.

Der nächste Artikel schildert große Wanderungen in einer der Lieblingsregionen des Autors.

Text/Bild: UM

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