Kolumbien – das Eldorado?
10. Oktober 2016Zu den spanischen Eroberern Lateinamerikas drang schon im frühen 16. Jahrhundert die Geschichte vom indianischen Vergoldeten (Mann), dem El Dorado. Zur Verehrung des Sonnengottes soll jährlich ein Kazike (Häuptling) mit Goldstaub bedeckt auf einem Floß in die Mitte eines Sees gefahren sein, dort goldene Gegenstände als Opfer ins Wasser geworfen und den Goldstaub abgewaschen haben. Diese Erzählung und die Lügengeschichten von Kolumbus über Goldschätze beflügelten die Spanier und auch eine Expedition der Augsburger Kaufmannsfamilie Welser, nach dem Goldland zu suchen, das im heutigen Kolumbien vermutet wurde. (Die Welser hatten das heutige Venezuela von Kaiser Karl V zeitweilig als Pfand für Kredite erhalten.) Diese fruchtlose Suche kostete ungezählte Indianer und etliche Europäer das Leben.
Heute findet man in Kolumbien das Erbe indianischer und spanische Kultur. Die Hauptstadt Bogota nimmt dem Ankömmling im wahrsten Sinne des Wortes den Atem; denn sie erstreckt sich in über 2500 m auf den Andenhängen. Auch im übertragenen Sinne ist die Stadt atemberaubend: ihre kaum überschaubare Größe, die spanische Altstadt, der Präsidentenpalast, die farbenfrohe Wachablösung und der zentrale Platz mit kolonialen Gebäuden. Er heißt wie alle Hauptplätze Bolivarplatz nach dem überall verehrten Befreier vom spanischen Joch. Den Höhepunkt bildet das Goldmuseum. Es birgt mehrere Zehntausend kunstvolle indianische Goldfiguren, die der Gier der Eroberer entgangen sind. Eines der herausragenden Stücke ist die verkleinerte indianische Nachbildung des goldenen Floßes mit dem Goldenen Mann.
Die Spanier haben nicht nur zerstört, sondern wie die meisten Kolonialmächte auch aufgebaut. Nahe Bogota wurde eine Kathedrale mit allen Leidensstationen Christi und einer fast fußballfeldgroßen Kapelle in ein aufgelassenes Salzbergwerk getrieben. Im ganzen Land trifft man auf farbenfrohe romantische Kolonialstädtchen, die ihre alte Atmosphäre so erhalten haben, dass man nicht verwundert wäre, wenn ein Konquistador, ein spanischer Eroberer also, oder einer seiner Nachfahren in frühneuzeitlicher Kleidung um die Ecke schritte.
In einem Luftsprung gelangt man nach San Augustin. Hier wartet eine Riesenüberraschung: die Relikte einer in Europa kaum bekannten indianischen Hochkultur. Auf weit gestreckten Arealen, die sich dem erschließen, der gut zu Fuß ist, findet man viele Gräber und ca. 500 Steinfiguren in den Größen von 20 cm bis 7 m. Sie zeigen Priester, Kaziken, Tiermenschen, Kinderopfer, Jaguare, Vögel, Krokodile, Frösche und Affen, aus deren Maul der Regenbogen kommt und dort wieder verschwindet. Einige Wesen sehen skurril, andere furchterregend, dritte naturalistisch aus. Da es wie bei allen vorkolumbischen Kulturen Südamerikas keine Schrift gibt, bleibt vieles den Interpretationen des Betrachters überlassen.
Wer Kolumbien besucht, lässt natürlich die Karibikküste nicht aus. Bei Santa Marta, der ersten spanischen Stadtgründung an Südamerikas Karibikküste, bildet der Besuch des Landguts, auf dem Simon Bolivar 1830 starb, ein Muss. In der großzügigen Anlage wird weihevoll des Nationalhelden gedacht. Santa Marta selbst ist recht hübsch, hält aber keinem Vergleich stand mit Cartagena, der Perle der Karibik. Das alte Zentrum wird von der Stadtmauer umgürtet; das spanisch-koloniale Flair nimmt jeden gefangen. Die Stadt war Ziel der Beutezüge vieler Piraten, insbesondere von Francis Drake, bis die Spanier die Befestigungen ausbauten. Das Fort trotzte der Belagerung einer fast zehnfachen englischen Übermacht. Die Spanier standen unter dem Kommando des Halben Mannes. Er hatte in früheren Kämpfen ein Auge, ein Bein und einen Arm verloren. Mit einem Denkmal wird er heute noch vor der Festung gewürdigt. Für die Moskitos, die die Engländer in dem Sumpfgelände vor dem Fort dezimierten, gibt es kein Denkmal.
Es gäbe noch viel zu berichten von Kaffeeplantagen, Klöstern, Kathedralen, Volksfesten, von der früheren Drogenhauptstadt Medellin, von rauschenden Flüssen, hohen Wasserfällen, zerklüfteten Urwaldbergen, von großen Saurierskeletten. Um die Leser nicht mit Überlänge des Artikels zu strapazieren, soll diese Darstellung jedoch reichen.
Der nächste Artikel entführt Sie in afrikanische Wildnis außerhalb von Touristenströmen.
Text/Bilder: UM