Äthiopische Vielfalt
8. Mai 2016– Äthiopien südlich von Addis Abeba –
Sögel – Wenn man Äthiopien bereist, fragt man sich manchmal: „Bin ich wirklich in Afrika?“ Denn Äthiopien gehört zu den ältesten christlichen Ländern. Fährt man allerdings von seiner Hauptstadt Addis Abeba in Richtung Süden, dringt man immer tiefer in ursprüngliches Afrika ein.
Man entdeckt zwar Kirchen in den Dörfern und trifft auf den Straßen christliche Prozessionen voller religiöser Inbrunst, je mehr man sich dem Fluss Omo im tiefen Süden nähert, desto mehr meint man, in Völkerkundebüchern Seite für Seite umzublättern, und die Phantasien der eigenen Kindheit über aufregend-gefährliche Expeditionen zu fernen Völkern gerinnen zu Wirklichkeit.
Man trifft halbnackte Viehhirten mit altertümlichen Gewehren, Halbnomaden präsentieren sich mit grellen Bemalungen und Federn in den Unterlippen, in anderen Dörfern schwenken Gefährlichkeit demonstrierende Krieger Kalaschnikows – kurz, wer nicht die Erfahrung gemacht hat, dass auch die „wildesten“ Menschen freundliche Zeitgenossen sind, wenn man ihnen ebenso begegnet, der wünscht sich ins friedliche Emsland zurück.
Dennoch schwingen Abenteuer und gespannte Erwartung mit, wenn man sich als einziger Europäer durch exotische Märkte schiebt, Ziegen einem über die Füße laufen, Fetische angeboten werden und Kinder an der weißen Haut reiben, um ihre Farbechtheit zu testen. – Am Omo leben viele kleine Völker (Mursi, Hamer u. a. m.), die sich bei allen Ähnlichkeiten miteinander dennoch die eigene Kultur bewahrt haben.
Deshalb ist diese Region das Mekka für Ethnologen. Man trifft Frauen, die sich das Haar zu Strähnen aus Fett und rotem Schlamm wie einen Helm frisieren, andere tragen stolz große Narben am Körper, die sie sich mit Gerten haben schlagen lassen aus Anlass des Bullensprungs ihres Freundes.
(Der Bullensprung ist eine Initiationszeremonie, also eine Zeremonie zum Eintritt in eine andere Altersstufe, bei dem junge Männer über die Rücken von Bullen Laufen.)
Ganz besonders beeindruckend sind die Frauen, die seit ihrer Kindheit die Unterlippen geweitet haben und jetzt darin einen Teller von bis zu 15 cm Durchmesser und mehr tragen.
Wegen der gebotenen Kürze der Artikel können die herrliche Berglandschaft, die Überquerung des Omo im Einbaum, die Begegnung mit dem äthiopischen Wolf, Lucy und vieles mehr nicht gewürdigt werden. Aber im nächsten Artikel ist neben dem äthiopischen Christentum auch von Lucy die Rede.
Text / Fotos: UM