Altes Rathaus wird jetzt doch Flüchtlingsunterkunft
1. September 2015Sögel – „Wegen des bevorstehenden Verkaufs der Immobilie hatten wir eine Belegung bisher ausgeschlossen, aber der Zustrom an Flüchtlingen und der Mangel an Wohnraum zwingt uns zu diesem Schritt“, sagte Samtgemeindebürgermeister Günter Wigbers gestern nach Beratungen mit den Gremien auf Samtgemeinde- und Gemeindeebene. Das alte Rathaus in Sögels Ortsmitte, das bisher als Hotel genutzt wurde und in Kürze an einen Investor verkauft werden sollte, wird zumindest für eine Übergangszeit zur Flüchtlingsherberge umfunktioniert.
Bisher leben in der Samtgemeinde Sögel bereits gut 100 Flüchtlinge, die meisten in Sögel, Börger und Klein Berßen. „Realistisch betrachtet werden wir bis Ende September weiteren 80 Menschen eine Unterkunft besorgen müssen“, sagte Wigbers mit Blick auf die angekündigten Zuweisungen durch die Landesaufnahmebehörde in Bramsche. Die exakten Zuweisungszahlen bis Ende Dezember kennen die niedersächsischen Kommunen noch nicht. Dass der Zustrom abreißt, ist aber nicht erkennbar; im Gegenteil. In den letzten zwei Wochen hatte Sögel außerplanmäßig zusätzlich 16 Menschen aus der Landesaufnahmestelle in Braunschweig aufzunehmen. Am Mittwoch komme „eine vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern aus dem Irak, in der Woche drauf erwarten wir 20 allein reisende Asylsuchende, die keine verwandtschaftlichen Beziehungen haben.“
In Sögel kursierte bereits seit längerer Zeit das Gerücht, das alte Rathaus werde zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Im Jahr 2004 zog die Samtgemeindeverwaltung dort aus und ist seither im Ludmillenhof ansässig. Die Gemeinde baute das alte Rathaus vor 10 Jahren zum Hotel um und vermietete es ab 2005 als Gästehaus an den Clemenswerther Hof. Die Hotelierfamilie Jansen verlängerte den Mietvertrag, der im Mai dieses Jahres auslief, allerdings nicht. Der Clemenswerther Hof hat mittlerweile neue Hotelzimmer im Stammhaus geschaffen und steht dort vor einer umfangreichen Erweiterungsmaßnahme. In Kürze wollte der Gemeinderat über den Verkauf der Immobilie entscheiden, für die es gegenwärtig vier Interessenten gebe. Deshalb schloss die Kommune eine Belegung mit Asylbewerbern bisher auch aus.
Freien Wohnraum findet die Samtgemeinde Sögel aber nun so gut wie gar nicht mehr. Erschwert wird die Situation auf dem Hümmling durch das enorm gestiegene Arbeitsplatzangebot auf dem örtlichen Schlachthof, auf dem mittlerweile 1400 Menschen arbeiten. Allein 1000 Bürger aus Polen, Rumänien und Ungarn haben ihren Wohnsitz in Sögel und den benachbarten Gemeinden. Die Gemeinde hat in jüngster Zeit zwar massiv in den Ankauf von Bauland investiert und erschließt gegenwärtig zwei neue Baugebiete mit zusammen knapp 70 Bauplätzen. Weitere sind im Planungsverfahren. „Merklich entspannen wird das unsere Situation aber auch nicht“, prognostiziert Wigbers.
Die Samtgemeindeverwaltung möchte bei ihrer Strategie bleiben, die Flüchtlinge möglichst in den größeren Orten in Sögel und Börger unterzubringen. In den kleinen Mitgliedsgemeinden seien die Asylbewerber mangels Mobilität nur schwer in der Lage, ihren Alltag zu organisieren. Spürbar angelaufen sind auch die ehrenamtlichen Aktivitäten zur Unterstützung der Flüchtlinge. Die örtliche Kolpingsfamilie, das Kolping-Europabüro, der Jugendmigrationsdienst, die Kirchen, der Rotary Club Hümmling und auch viele Einzelpersonen seien aktiv. Der Betrieb eines Möbellagers, Fahrradspenden, Sprachunterricht, Hausaufgabenhilfe, vieles geschehe bereits. Am kommenden Donnerstag tage erneut der „Runde Tisch Flüchtlingshilfe“.
Auf einzelnen frei werdenden Wohnraum hofft die Kommune im September und Oktober. „Reichen wird das angesichts des anhaltenden Zustroms allerdings nicht.“ Wir können heute nicht ausschließen, dass wir auch weitere kommunale Gebäude oder auch eine Turnhalle umfunktionieren müssen. Und wir werden parallel gegebenenfalls mit Hilfe privater Investoren über den zeitnahen Bau von Wohnunterkünften konkret nachdenken müssen. „Es gibt viele offene Fragen.
Wichtig ist, dass wir in uns in der Samtgemeinde unsere Solidarität und Toleranz für Menschen aus anderen Nationen bewahren“, sagte Wigbers. „Wir haben so viele gute Erfahrungen gemacht, einst mit den amerikanischen Soldaten und deren Familien, mit den vielen Aussiedlerfamilien seit Mitte der achtziger Jahre und auch mit den Werkvertragsarbeitnehmern. Fast 40 Kinder aus Polen, Rumänien und Ungarn würden derzeit in den beiden Sögeler Kindergärten betreut. „Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Die Integration gelingt mit und über Kinder rasant schnell.“ Die Altersstruktur der Flüchtlinge spreche ebenfalls für eine gelingende Integration. 10 Prozent der Flüchtlinge seien Kinder bis 6 Jahre, deutlich mehr als die Hälfte seien junge Menschen bis 25 Jahre. Der Samtgemeindebürgermeister ist sich gleichwohl bewusst, dass „dies für die Kindergärten und Schulen eine weitere besondere Herausforderung darstellt.“
Text/Foto: Ingrid Cloppenburg