Allgemeine Betrachtungen und Fragen zur Geschichtsphilosophie

2. Juni 2015

Was ist Geschichte? Ist sie eine zufällige Aneinanderreihung von Ereignissen, eine Abfolge von Notwendigkeit oder eine Mischung aus Zufällen und Notwendigkeiten? Erzeugen Notwendigkeiten unbegrenzt viele Zufälle oder nur eine definierbare Bandbreite von Zufällen und umgekehrt? Hat Geschichte einen Sinn, eine Aufgabe oder ein Ziel? Von diesem könnte man dann auf den Sinn und die Aufgabe zurückschließen. Hat Geschichte Gesetzmäßigkeiten und Wiederholungen? Lenkt der Weltgeist die Geschichte oder greift er gelegentlich in Form von bestimmten Personen ein? (Hegel) Sollte man heute besser von Mentalität oder Zeitgeist sprechen als agens, als Handler und Vorantreibender der Geschichte? (In diesem Zusammenhang frage ich mich, ob Hitler und Stalin dem Zeitgeist entsprachen und sozusagen dessen Leitfiguren und oberste Repräsentanten waren.)

Eins lässt sich mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit sagen: Geschichte reißt nicht ab, insbesondere Mentalitäten, kollektive sowie individuelle Meinungen und Haltungen, die wiederum das Handeln – Haltungen erzeugen Verhalten – bestimmen. Selbst bei revolutionärer Kehrtwende beeinflusst die Vergangenheit die Gegenwart und wird in der Zukunft virulent, wie man an der Erhaltung des Christentums im früheren Ostblock oder dem Fortwirken konfuzianischer Traditionen in China erkennen kann. Kollektive und individuelle Identitäten sind außer mit dem physischen Tod von deren Trägern kaum auslöschbar.

Gleichwohl bleiben viele Fragen zur Geschichte allgemein sowie zum Entstehen des 3. Reichs offen. Viele Gründe kennen wir, und sie werden hier dargestellt. Dennoch fehlt mir der archimedische Punkt, also der feste Punkt, von dem aus man die Welt aus den Angeln heben könnte, um nicht nur die Ursachen des 3. Reichs zu verstehen, sondern vielmehr dessen Gräuel  und die Beteiligung so vieler Deutscher bzw. zumindest deren Wegschauen. Oder anders ausgedrückt: Warum haben sich so viele Deutsche und deren Politiker in den unsäglichen Zivilisations- und Humanitätsbruch des 3. Reichs und seiner Tötungsmaschinerie, in die Abkehr aufklärerischer Ideale gestürzt und sich dort anscheinend ganz gut eingerichtet? – Um der Beantwortung dieser Fragen etwas näher zu kommen, wird im Folgenden und in Fortsetzung dieses Artikels in weiteren Ausgaben der IfS die Weimarer Zeit näher beleuchtet – durchaus mit persönlichen Einschätzungen des Verfassers.

 

Text: UM

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Weimar – die gescheiterte Republik

Führte die Weimarer Republik zu Hitler?

 

Teil 1: Die Gründermonate

 

Die erste Regierung der Weimarer Republik (kurz: WR) war mehr ein Zufallsprodukt. Prinz Max von Baden, der letzte kaiserliche Reichskanzler, hatte Wilhelm II sozusagen vom Thron geschubst. Ebert war einige Stunden Reichskanzler und wurde dann zum Präsidenten hochgestrudelt. Es war unklar, wer eigentlich die Macht hatte. Scheidemann (SPD) und Liebknecht (KPD) riefen fast gleichzeitig und unabhängig voneinander die Republik aus. Der eine wollte eine parlamentarische Demokratie, der andere eine Räterepublik. Scheidemann hatte die Republik hinter dem Rücken Eberts ausgerufen. Dieser soll daraufhin geschäumt haben vor Wut, akzeptierte die Republik dann aber. Mit fragwürdiger Legitimation gab Ebert die Ausarbeitung einer Verfassung in Auftrag. Die Nationalversammlung musste nach Weimar ausweichen, um nicht in Berlin dem Druck der Straße zu erliegen. Jene nahm dann die Verfassung an und wählte Ebert unter Verfassungsbruch zum Reichspräsidenten. Laut Verfassung hätte es eigentlich eine Volkswahl geben müssen. – Um den folgenden Zeilen vorwegzugreifen: Die WR hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit der vorherigen Monarchie, nur geschwächt und ohne Kaiser. Alle führenden Personen der WR  wurzelten in ihren Biographien und Karrieren im Kaiserreich. Und Karriere ist eine nicht zu unterschätzende Teilsozialisation mit Übernahme von Werten, Normen und Haltungen, um die Karriereleiter emporzuklimmen. Golo Mann führt hierzu und zum Beginn der WR aus: „…blieb der ganze Herrschafts- und Geistesapparat des Kaiserreichs erhalten; Verwaltung, Justiz, Universität, Kirchen, Wirtschaft, Generalität. Folglich war die politische Macht schwach; sie arbeitete mit Bürokraten, Richtern, Lehrern, die wohl oder übel ihren Beruf weiter ausübten, ohne an die Republik zu glauben. Folglich waren jene, die an eine echte, die gesellschaftliche Struktur verändernde Revolution glaubten, mit dem Erreichten gar nicht zufrieden; sie wollten es umstürzen von links, nach Lenins Beispiel. Folglich besaßen die Anhänger des Alten wenigstens zwei bestechende Argumente für einen Gegenschlag von „rechts“: Die neue demokratisch organisierte Macht stand nicht auf den festesten Füßen; und sie bot angeblich keine Garantie gegen die kommunistische oder anarchistische Gefahr.“ (Mann, Deutsche Geschichte, S. 670f)

 

Fortsetzung folgt…

 

Text/Foto: UM

 

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