Demokratie ohne Demokraten? – Die Weimarer Republik
1. Mai 2014Sögel – Ein Teil des vierten Raums der Geschichtswerkstatt in Sögel befasst sich, wie bereits geschildert, mit dem Kaiserreich. Das Kaiserreich war nicht völlig undemokratisch. Es war, salopp ausgedrückt, eine Demokratie mit angezogener Handbremse. Diese Handbremse bestand neben politischen Strukturen aus Autoritarismus und überzogenem Patriotismus. Die Menschen, die in diesem System erzogen worden waren, wurden nach dem Ende des Krieges ins für sie kalte Wasser der Demokratie geworfen. Ihre traditionelle Lenkung, ihre Werte und Vorbilder hatten sich zerbröselt. Sie suchten nach neuer Orientierung und Lebenssicherheit, um die Kränkungen zu überwinden. Der Verlust des kaiserlichen Übervaters, dieses für viele personifizierten Über-Ichs (Gewissen, Sitz von Normen und Werten), die Schmach des verlorenen Krieges, der teils nicht zu Unrecht als bösartig empfundene Versailler Vertrag, die wirtschaftliche Not, das Tohuwabohu der Weimarer Gründerjahre, die Inflation, körperliche und seelische Verletzungen des Krieges, das alles musste überwunden werden in einem sozio-politischen System, mit dem man fremdelte. Denn auch Demokratie muss gelernt und erfahren werden.
Woher sollten genügend viele Demokraten kommen, um diese Abgründe zu überwinden? Der zweite Teil des vierten Raums der Geschichtswerkstatt widmet sich dieser Problematik. Er geht der Rolle der Kirchen nach. Er zeigt den Aufstieg der NSDAP und belässt es nicht im mehr oder weniger fernen Bereich allgemeiner deutscher Geschichte, sondern projiziert diese auf das Emsland, auf Sögel und konkrete Personen sowie Ereignisse. Wussten Sie, dass die katholische Kirche bis Anfang 1933 so strikt gegen den Nationalsozialismus eingestellt war, dass sogar NSDAP-Mitglieder nicht kirchlich beigesetzt werden durften? Die öffentliche Ablehnung der NSDAP durch die Kirche änderte sich im Laufe des Jahres 1933, als die Kirche sich für so etwas wie die innere Emigration entschied, wohl um sich selbst zu erhalten und ihre Mitglieder nicht zu gefährden. Von der staatshörigen protestantischen Kirche spaltete sich im September 1933 die bekennende Kirche unter Niemöller ab. Im katholischen Emsland wurde die NSDAP im Vergleich zum restlichen Deutschland nur von wenigen Menschen gewählt. Engagierter Kämpfer gegen die Faschisten war das Zentrum. (Es hatte allerdings rückblickend doch seinen Sündenfall, indem es 1933 dem sog. Ermächtigungsgesetz zustimmte – gegen den Willen Brünings.) Im Emsland gab es eine Vielzahl von Veranstaltungen des Zentrums, bei denen unter anderen Brüning und der Vater des jetzigen Ehrenbürgermeister Sögels,Heinrich Wellenbrock, auftraten.
Das, was hier nur kurz angerissen wurde, können Sie in der Geschichtswerkstatt unterlegt mit Zahlen, Schaubildern, Videosequenzen, Zeitungsausschnitten u. a. m. erleben und sich in die Weimarer Zeit hineindenken und -fühlen.
Text/Foto: Uwe Müller