Das Kaiserreich im Spiegel der Geschichtswerkstatt
8. April 2014Sögel – Der vierte Raum der Geschichtswerkstatt Sögel wurde, wie im vorigen Artikel bereits erwähnt, ebenso wie die folgenden Räume völlig neu konzipiert. Er befasst sich mit dem zweiten Kaiserreich sowie den ca. 20 Jahren vor dessen Gründung und mit der Weimarer Republik. Zunächst soll der Abschnitt „Kaiserreich“ hier erörtert werden. Die Verhältnisse bis etwa 1890 wurden geprägt durch Säkularisation (Verweltlichung), Kulturkampf und Sozialistengesetze. Viele Historiker vertreten die Meinung, dass Deutschland ein Gefäß oder die Bühne für die Machtentfaltung Preußens war. Treibende Kraft dieser „Preußifizierung“ des Reichs war bis ca. 1890 Bismarck. Er schob Kaiser Wilhelm I. sozusagen. als Galionsfigur vor sich her. Der von Bismarck begonnene Kulturkampf schränkte die katholische Kirche ein und beschnitt ihren Einfluss sowie ihre Rechte. Die Werkstatt zeigt, welche Auswirkungen das im Emsland hatte. So blieben z. B. auf dem Hümmling fünf von zehn Pfarrstellen unbesetzt. Der Namensgeber der Sögeler Bernhardschule, Bernhard Husmann, musste für neun Jahre ins schwedische Exil gehen, war dann aber von 1907 bis 1931 Pfarrer in Sögel. L. Windthorst, der von dem Historiker Golo Mann für den bedeutendsten Abgeordneten der damaligen Zeit gehalten wird und Bismarck nach dessen eigenen Aussagen so etwas wie Albträume verursachte, profilierte sich als stärkster Gegenspieler Bismarcks und Kämpfer für Menschenrechte. – Der Kulturkampf, d. h. die Verfolgung der katholischen Kirche, wurde 1887 von Papst Leo XIII. ohne Einschaltung Windthorsts beendet.
Bereits 1878 hatte Bismarck die Sozialistengesetze durchgesetzt. Sie knebelten die politische Vertretung der Arbeiterschaft bis zu Verboten von deren organisierten Aktivitäten. Es gab viele Reformvorschläge zur Linderung der Not der Arbeiter aus dem politischen Bereich (Liebknecht, Lasalle, Bebel) sowie von christlicher Seite (von Ketteler, Kolping, Wichern, von Bodelschwingh). Bismarck setzte Sozialversicherungen in die Tat um. Windthorst äußerte sich sinngemäß hierzu, sie seien eine Beruhigungspille für die Arbeiter und für das schlechte Gewissen der Herrschenden.
Außenpolitisch bewies Bismarck durchaus Geschick und Weitsicht, innenpolitisch verhielt er sich, gelinde gesagt, grobschlächtig. Bei Kaiser Wilhelm II. war es eher umgekehrt. Nachdem er Bismarck entlassen hatte, hob er die Sozialistengesetze auf und erwirkte viele soziale Gesetze mit Auswirkungen bis heute. Außenpolitisch knüpfte er nicht an Bismarcks Vertragswerke und Behutsamkeit insbesondere gegenüber Frankreich an. Er stellte sich als höchstes Symbol des Obrigkeitsstaates dar und „brillierte“ mit Großmannssucht. Dabei verprellte er auch das bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts Deutschland durchaus wohlgesonnene Großbritannien. Autoritarismus und wichtigtuerisches Auftrumpfen waren, von vielen Deutschen gut geheißen, so etwas wie preußisch-deutsche Staatsräson.
Wissenschaft und Wirtschaft blühten in Deutschland, allerdings auch Rassismus und Antisemitismus. Einige Vordenker eines Gebräus aus Staatshörigkeit, Verherrlichung von Stärke, Überhöhung des Deutsch- sowie Germanentums und rassistischen Vorurteilen waren Heinrich von Treitschke, Nietzsche und Richard Wagner.
Der Weg in die Urkatastrophe des letzten Jahrhunderts, in den Ersten Weltkrieg, war vieleicht nicht zwingend vorgezeichnet, es gab aber auch nicht genügend Kräfte in Deutschland und Europa, die diese Rutschbahn ins Verderben blockiert hätten.
Alles, was in diesem Artikel geschildert wurde, und mehr finden Sie in nur einer Hälfte eines Raumes der Geschichtswerkstatt auf Tafeln, in Hör- und Fernsehbildern. Die Fortsetzung von Nachdenkenswertem und Geschichte folgt in komprimierter Form im nächsten Artikel. Er befasst sich mit der Weimarer Republik.
Text/Foto: Uwe Müller