Zukunft braucht Erinnerung
21. Dezember 201375 Jahre Reichspogromnacht in Sögel
Sögel – Die Mahn- und Gedenkfeier zur 75. Reichspogromnacht am 9. November wurde in diesem Jahr von Achtklässlern des Wahlpflichtkurses Geschichte in der Pausenhalle der Schule am Schloss mitgestaltet. Bürgermeisterin Irmgard Welling begrüßte im Namen des stellvertretenden Bürgermeisters Hans Nowak neben den zahlreich erschienenen Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde Sögel die Familie Grünberg, die Familie De Haas, Herrn Strotbeck vom Arbeitskreis, die Schulleiterin Maria Lau, das Lehrerkollegium der Schule am Schloss, besonders Frau Marion Geers und Herrn Jürgen Jansen sowie die Schülerinnen und Schüler der Oberschule Sögel, insbesondere den Wahlpflichtkurs Jahrgang 8 und die Schulband. Sie erklärte in ihren einführenden Bemerkungen, dass die Gemeinde im Jahr 2011 angefangen sei, die ersten Stolpersteine zu verlegen. „Mittlerweile werden in ganz Europa Stolpersteine verlegt, und die Nachfrage ist so gestiegen, dass wir die heutigen Stolpersteine erst im nächsten Jahr bekommen“, fügte sie hinzu. Auch im letzten Jahr seien die Stolpersteine erst im Mai schweigend zu den ehemaligen Wohnhäusern der ermordeten Juden Sögels gebracht und schweigend verlegt worden.
In den letzten Wochen und Monaten hatten sich die Schülerinnen und Schüler im Wahlpflichtkurs Geschichte mit ihrem Geschichtslehrer Jürgen Jansen intensiv mit der Judenverfolgung im Dritten Reich auseinandergesetzt. „Dabei haben wir festgestellt, dass es in unserer Heimatgemeinde Sögel deutschlandweit den zweithöchsten prozentualen Anteil an jüdischen Mitbürgern gab“, erwähnte Schülerin Jessica Hinrichs. Ebenso seien sie in ihren weiteren Recherchen auf das Begleitmaterial zu dem Film „Ich wollte noch einmal die Sonne sehen“, der das Schicksal der inzwischen 90jährigen Holocaust-Überlebenden Erna de Vries aus Lathen erzählt, gestoßen und hätten ein Originaldokument aus dem Jahr 1938 über die Verweisung einer jüdischen Sonderklasse von einer allgemeinbildenden Schule in Kaiserslautern gefunden. Die Schülerinnen und Schüler hätten diese unvorstellbare Situation der damaligen Ausgrenzung der jüdischen Schüler zum Anlass genommen, ein Rollenspiel zu inszenieren, „damit so etwas nie wieder passiert und Erinnerung Zukunft hat“, erklärte Jessica Hinrichs und verwies auf das mit Stolz erworbene Zertifikat am Eingang der Schule am Schloss „Schule ohne Rassismus“.
Frau Welling schilderte das ergreifende Schicksal des damals sehr jungen polnischen Juden Leopold Kozlowski, der nur durch seine Musik, die er im Arbeitslager gespielt hatte, den Holocaust überleben konnte und noch heute als 93.Jähriger mit seiner Musik und das Instrument dicht am Herzen haltend die Geschichte seines Volkes erzählt.
Zum Gedenken an die acht verstorbenen Angehörigen der Familien Jacobs und Weinberg entzündeten die Schüler die auf weißen Sockeln stehenden Kerzen und umhüllten diese mit weißen Tüchern. Dabei wurden die Namen verlesen. Auch für diese Verstorbenen werden im nächsten Jahr wieder „Stolpersteine“ verlegt werden.
Die vorgetragenen Lieder der Schülerband „Bitte hört nicht auf zu träumen von einer besseren Welt“ und „Read all about it“ unter der Leitung von Jürgen Jansen passten textlich in das Thema und berührten die zahlreich erschienenen Zuhörer. „Es gibt verschiedene Formen des Erinnerns. Mit eurem Rollenspiel und der beeindruckenden Musik habt ihr heute eure Form des Erinnerns zum Ausdruck gebracht. Zukunft braucht Erinnerungen, und ihr seid unsere Zukunft!“, gab Bürgermeisterin Welling den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg und bedankte sich sehr herzlich für die Mitgestaltung der ergreifenden Gedenkstunde. Sie bedankte sich ebenfalls bei allen erschienenen Bürgerinnen und Bürgern für die Teilnahme, besonders bei denen, die den weiten Weg aus der Partnergemeinde Norg auf sich genommen hatten und zur Gedenkfeier nach Sögel angereist waren.
Text: Gisela Arling / Foto: Andreas Bouras