Papa allein zu Haus
1. Januar 2013Studenten in ihrer neuen Wahlheimat erleben viel, lernen Neues und wachsen mit ihren Erkenntnissen und Reiseabenteuern. Doch wie geht es den Zurückgebliebenen, den vereinsamten Eltern, die wacker daheim den Ofen warm halten und jedem Besuch ihrer einstigen Zöglinge entgegenfiebern? Sie warten. Denn einfach ist es nicht, die Heimreise anzutreten. Verständlich, wenn man bedenkt, dass „die Bahn“ beispielsweise einem Jenaer Studenten im Schnitt acht bis neun Stunden Zeit schenkt, um vom stressigen Studentenalltag einmal runterzufahren, hinab in die Tiefe des Emslandes. Als Wahlthüringer geht die Fahrt mit dem Studententicket über Göttingen hoch in den Norden. Das Niedersachsenticket ermöglicht eine kostengünstige Anschlussfahrt, denn Niedersachsen grenzt an Thüringen, also günstige Voraussetzungen. Doch weit gefehlt, denn eine kleine Zwischenstation – im altehrwürdigen Heilbad Heiligenstadt- im „Eichsfelder Niemandsland“ zwischen Thüringen und Niedersachsen- gibt der Bahn das Recht, nochmals einen Zehner abzukassieren. Das zahlt der konservative Lokalpatriot natürlich gerne, Hauptsache Papa ist nicht allein zu Haus. Für Dortmunder beginnt das „Niemandsland“ in Rheine. Dank des wegen Reparaturarbeiten angebotenen Schienenersatzverkehrs bietet die mangelnde Anschlussplanung zusätzliche Zeit, um anstehende Referate und Übersetzungen fertig zu stellen, denn der Student von heute besitzt ja, im Gegensatz zur Bahn, moderne Kommunikationsmittel. Da frage ich mich, warum die lokalpatriotische Politik, die „Wiederheimkehrverträge“ schließt, Arztpraxen und Studium finanziert, um die heimatnahe Ansiedlung zukünftiger Akademiker zu sichern, nicht an die freie Heimreise unserer zukünftigen Elite denkt. Ich würde sogar noch weitergehen und allen Schülern und Studenten freie Reise im ganzen Bundesgebiet ermöglichen. Kommunikation durch Facebook oder Skype können die positiven Erlebnisse eines Wochenendes in Sögel oder andernorts nicht ersetzen und stärken das Band, mit dem der Student wie ein Bungeespringer wieder zurückkehren kann.
Text: Hermann Brachem