Dem Leben wieder „Halt“ geben

9. Dezember 2012

Das „Mutterwerden“ ist ein einschneidendes Erlebnis wohl für jede Frau. Meistens gelingt es, auch wenn es nicht immer leicht ist. Doch was ist, wenn die junge Mutter mit ihrer Mutterschaft überfordert ist? Wenn sie nicht weiß, wie sie das Leben mit einem  Baby bewältigen soll? Wenn sie keine Unterstützung aus ihrer Familie, ihrem sozialen Umfeld erfährt? Wenn sie finanziell nicht über die Runden kommt? Was dann?

„Jede junge Frau in dieser Situation entscheidet ganz unterschiedlich“, berichtet Jose Teixeira, Geschäftsführer der Kinder- & Jugendhilfe Hümmling. „Wir lesen mehrmals wöchentlich von Kindern, die aufgrund der Überforderung ihrer Eltern Schreckliches erfahren, von der Kindesmisshandlung bis hin zur Kindstötung.“ Daher habe er vor jeder jungen Mutter Respekt, die mutig genug sei, sich bei einer Überforderung mit der Situation für die Inanspruchnahme von professioneller Hilfe zu entscheiden. „Diese Hilfe kann sie bei uns in der Mutter-Kind-Einrichtung bekommen“, informiert Teixeira.

Er erklärt: „Die Mutter-Kind-Einrichtung ist ein Betreuungsangebot für junge Mütter, die im Hinblick auf eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung mit ihrem Kind Betreuung und Unterstützung benötigen. Dazu gehört zunächst eine intensive Geburtsvorbereitung. Die Mütter lernen, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen und allen damit verbundenen Anforderungen gerecht zu werden. Ein weiteres Ziel ist es, eine schulische und berufliche Perspektive zu entwickeln. Die Mütter werden dabei in allen Belangen unterstützt, wie z.B. durch eine ganztägige Kinderbetreuung. Gleichzeitig sollen die jungen Mütter auch in ihren altersentsprechenden Bedürfnissen ernstgenommen und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden. Freiräume für Freizeit und Partnerschaft stehen zur Verfügung. Schließlich wird das gesamte soziale Netzwerk der Mütter in die Arbeit sinnvoll und förderlich einbezogen. Das Hilfeangebot dieser Wohnform ist überwiegend auf junge Mütter und Schwangere ausgerichtet. Gerade in der Zeit rund um die Geburt wird durch eine 24-stündige Betreuung ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet. Es wird darauf geachtet, dass der Altersdurchschnitt der Gruppe homogen bleibt.

Dadurch soll erreicht werden, dass auf die in der Pubertät auftretenden Entwicklungsanforderungen und Bedürfnisse der jugendlichen Mütter möglichst gut eingegangen werden kann.“

„Wir haben unser Haus erst im vergangenen Sommer geöffnet und wurden gleich mit Anfragen von den umliegenden Jugendämtern überhäuft“, erinnert sich Teixeira. Aus diesem Grund habe sich die Trägerin des Hauses, die Stiftung Kinder- & und Jugendhilfe Hümmling, dazu entschieden, das Angebot zu erweitern. Ein weiteres Haus wurde angekauft, in dem ab November 2012 nochmals vier Mütter aufgenommen und betreut werden können.

„Immer wieder werden wir mit der Frage konfrontiert, wie sich das alles bezahlen lässt. Nun, wir finanzieren uns durch die Betreuungssätze der jeweiligen Jugendämter – letztlich also Steuergelder. Ja, unsere Mütter sind in einer angenehmen Atmosphäre im Neubau untergebracht. Wenn sich die Mütter bei uns wohlfühlen, werden sie dieses Niveau auch für ihr weiteres eigenständiges Leben mit Kind anstreben, das ist unser Ziel. Seit dem Fall ´Kevin` haben wir eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung. Bei allen Müttern, die sich von uns aus in eine bessere Zukunft verabschieden, weiß ich nicht aus persönlicher,sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht, dass jeder Cent in deren Betreuung gut angelegt war, “ äußert sich Teixeira.

Um einen Einblick in den Alltag einer jungen Mutter zu bekommen, schildern wir einen beispielhaften Tagesablauf einer Bewohnerin des Mutter-Kind-Hauses in Sögel:

„Mein Name ist Jasmin, ich bin 21 Jahre alt und lebe seit dem 22.12.2011 mit meiner kleinen Tochter im Mutter-Kind Haus der Stiftung Kinder- und Jugendhilfe Hümmling. Ich hatte damals sehr große Probleme und Streit mit meinem Mann und bin von zu Hause weggegangen. Dann war ich erst bei meiner Mutter, dann bei einer Bekannten und dann kurz im Frauenhaus, dort sind wir nicht so gut zu- rechtgekommen. Die Sozialarbeiterin vom Jugendamt hat dafür gesorgt, dass ich in Sögel aufgenommen werden konnte.

Am Anfang war alles fremd und komisch. Ich hatte Schwierigkeiten, mich mit der Hausordnung und den Regeln zurechtzufinden. Es war alles neu, und ich fühlte mich bevormundet. Aber alle waren total nett zu mir. Die Betreuerinnen haben mir immer wieder erklärt, wie ich es mit meinem Kind gut machen kann. Langsam merkte ich, dass es jeder nur gut mit mir meint und es eine echte Hilfe und Unterstützung ist.

Bevor ich mich mit meinem Mann so zerstritten habe, hatte ich schon eine Lehre als Hauswirtschaftshelferin angefangen. Seit März 2012 gehe ich wieder arbeiten und bin jetzt im 3. Lehrjahr. Mein Tag fängt immer früh an. Ich muss um 5.45 Uhr aufstehen und für mich und meine Tochter das Frühstück vorbereiten. Dann verschwinde ich im Badezimmer, und danach wecke ich um 6.30 Uhr meine kleine Tochter. Wenn ich es noch schaffe, füttere ich sie mit ihrem Brot, ansonsten übernimmt das die Betreuerin, die auch in der Einrichtung übernachtet hat. Seit zwei Wochen packe ich dann auch noch die Kindergartentasche. Ich muss mich beeilen, damit ich pünktlich zum Bus komme.  Der Bus fährt eine halbe Stunde bis zur Johannesburg. Dort arbeite ich dann bis 13.30 Uhr in der Küche. Dann geht es schnell nach Hause. Dort wartet meine Tochter auf mich, die erst von 8-12 Uhr mit anderen Kindern in der Krippe der Arche Noah spielen konnte, dann hält sie Mittagsschlaf und wird immer von den Betreuerinnen hingelegt. Wenn sie wach wird, gebe ich ihr manchmal das Mittagessen. Oft ist sie aber auch schon von den Betreuerinnen gefüttert worden. Dann spiele ich mit ihr, gehe mit ihr spazieren, mache mit ihr eine Radtour oder besuche eine Bekannte. Alle 4 Tage habe ich Waschtag, dann erledige ich unsere Wäsche. Bei schönem Wetter hängen wir die Wäsche nach draußen. Dann muss jede Mutter für sich aufpassen, dass sie die Wäsche schnell genug wieder reinholt. Wenn ich Abendbrotdienst habe, muss ich für alle den Tisch decken, meine Tochter füttern, alle 2 Tage bade ich sie, dann bringe ich sie ins Bett. Ich muss ihr die Zähne putzen, sie frisch wickeln und  in den Schlafsack packen. Dann lese ich ihr eine Geschichte vor, sie bekommt ihre Gute-Nacht-Flasche, und dann schläft sie auch schon. Danach räume ich den Tisch ab und die Küche auf. Bei uns wird nach jeder Mahlzeit die Küche gewischt, da die Kinder beim Selber-essen-lernen noch oft etwas runterwerfen.  Manchmal bügele ich dann noch Wäsche, weil ich meine Arbeitsgarderobe auch immer frisch haben muss. Wenn ich dann noch Zeit habe, unterhalte ich mich mit den anderen Müttern, oder es gibt etwas mit der Betreuerin zu besprechen. Wir spielen auch oft noch eine Runde Karten. Da ich aber immer so früh aufstehe, gehe ich wochentags immer gegen 21.00 Uhr ins Bett. Da bleibt nicht viel Freizeit.

Ich habe im Mutter-Kind-Haus gelernt, wie ein funktionierender Tagesablauf klappen kann. Seitdem ich hier bin, verstehe ich auch viel mehr, was meine Tochter alles braucht. Es ist immer eine da, die ich fragen kann. Wir Mütter helfen uns auch viel gegenseitig. Wir haben viel Spaß zusammen, manchmal aber sagen wir uns auch die Meinung. Aber wir haben gelernt, uns nicht anzuschreien. Seitdem ich hier bin, habe ich auch wieder besseren Kontakt zu meinem Mann. Er kommt uns hier alle zwei Wochen besuchen und lernt, was ein Vater alles machen soll. Wenn wir nicht einer Meinung sind, sagen wir uns das, aber zanken uns nicht mehr so doll. Wir können auch immer zusammen zu einer Betreuerin gehen und uns Hilfe holen Ich finde es richtig gut hier und bin froh, dass ich so viel lernen durfte und darf. Ich fühle mich jetzt wie eine richtige Mutter. Ich weiß aber auch, dass es noch ein langer Weg ist, den ich ohne die Hilfe von den Betreuerinnen nie geschafft hätte.“

Text/Foto Ingrid Cloppenburg

 

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